Aus: FaktenCheck:HELLAS, Ausgabe 4, Juli 2015
Der Dreischritt, den es in Griechenland in einem Zeitraum von acht Tagen, zwischen dem 5. Juli und dem 13. Juli gab, ist extrem. Diesen Dreischritt kann man mit den Worten zusammenfassen: Sieg der Demokratie im Referendum am Sonntag, dem 5. Juli – Geste der Unterwerfung und ein letztes Angebot für einen denkbaren Kompromiss durch das griechische Parlament am Freitag, dem 10. Juli – bedingungslose Kapitulation des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am Montag, dem 13. Juli. Der Ausgangspunkt und der Endpunkt dieser drei Etappen in der jüngsten griechischen Tragödie sind historisch.
Am 5. Juli stimmten 61,3 Prozent der Griechinnen und Griechen, die am Referendum teilnahmen, für die Ablehnung des neuen Austeritätsprogramms, das die EU, die EZB und insbesondere die Berliner Regierung dem Land abpressen wollten. Die Menschen in Griechenland taten dies, obwohl 80 Prozent der griechischen Medien für das „Ja“ trommelten. Obgleich Brüssel und Berlin massiv ein „Ja“ forderten. Und sie votierten derart eindeutig, obschon die EZB unmittelbar nach Ausrufung des Referendums die finanzielle Hilfe für griechische Banken einstellte, weswegen die Banken bereits am Montag vor dem Referendum geschlossen werden mussten. Bei dem Referendum stand das harte und unmoralische Argument „geschlossene Banken“ gegen die „weiche“ Forderung nach einem „Votum der Würde“. Dennoch siegten Moral und Würde. Tags darauf schien Tsipras reiche Ernte einfahren zu können: Alle demokratischen Parteien mit Ausnahme der KKE unterzeichneten eine Erklärung, mit der sie Tsipras bei den Verhandlungen in Brüssel den Rücken stärkten. Der Führer der Opposition, Samaras, trat zurück. Die Opposition war führungslos.
Doch EU und Berliner Regierung machten umgehend klar: Demokratie ist für sie eine Lachnummer. Es gilt allein das Recht des Stärkeren. Oder auch: Die 60 größten griechischen Unternehmen hatten 2014 einen addierten Umsatz von 57 Milliarden Euro. Soviel setzt Volkswagen in einem Vierteljahr um. Alles klar?! Die Gläubiger verweigerten drei Tage lang jede Bereitschaft, ernsthaft neu zu verhandeln. Sie wiedeholten ständig: „Der Ball liegt im griechischen Feld“. Warum bloß? Es gab einen EU-Vorschlag. Es gab ein griechisches Nein. Damit stand an, dass die Gläubiger ihre Position neu überdenken würden. Nach eineinhalb Wochen mit geschlossenen Banken knickten die griechische Regierung und das Parlament in Athen ein. Sie beschlossen frühmorgens am 11. Juli, assistiert von französischen „Beratern“, ein „Reformprogramm“, das weitgehend dem der Gläubiger von Ende Juni entsprach. Und nun lief es wie in Mafia-Filmen. „Genug ist nicht genug!“, tönten die Gläubiger. Sie forderten stündlich mehr. Schäuble, Merkel und Gabriel verlangten jetzt sogar einen „Grexit auf Zeit“ – als Drohkulisse zur Erzielung des totalen Siegs. Am Ende unterzeichnete Tsipras am 13. Juli eine Euro-Gipfel-Erklärung, in der es heißt, die „Glaubwürdigkeit Griechenlands“ müsse „wieder hergestellt“ werden. Das ist Kolonialherrschaftssprache pur.
Der Inhalt der Gipfel-Erklärung dokumentiert die bedingungslose Kapitulation. Das volle Programm der Gläubiger soll umgesetzt werden. Das Athener Parlament muss bereits in den auf den Gipfel folgenden drei Tagen die ersten entscheidenden Schritte zur Implementierung der Kapitulation beschließen. Der Text dokumentiert das Hineinregieren der Gläubiger bis in Details des griechischen Alltagslebens. So steht dort, dass die Geschäfte am Sonntag geöffnet und die Fähren „für den Wettbewerb geöffnet“, also privatisiert werden. Vor allem aber ist dort eine „unabhängige“ Treuhand-Anstalt („independent fund“) vereinbart, auf die „griechisches Vermögen“ im Gesamtwert von 50 Milliarden Euro übertragen werden muss. Hier geht es um bislang in öffentlichem Eigentum befindliche Unternehmen und Immobilien, die in Bälde seitens dieser Treuhand privatisiert werden sollen. Wir kennen Vergleichbares aus dem Deutschland der Wendezeit Anfang der 1990er Jahre. Die objektiven Werte, die in diese Hellas-Treuhand eingebracht werden, könnten tatsächlich bei 50 Milliarden Euro und mehr liegen. Doch eingenommen wird am Ende ein Bruchteil. Das heißt: Es geht um den Ausverkauf öffentlicher Güter zu Spottpreisen.
Griechenland wird auf diese Weise auf den Status einer Halbkolonie gedrückt. Ob diese Halbkolonie noch von Alexis Tsipras – der zu einem Menschen wie Alexander Dubcek nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Prag 1968 zu degenerieren droht – verwaltet wird, ob eine Allparteien-Koalition diesen Job übernimmt oder ob die Banken doch noch kollabieren, es zu einem totalen Chaos kommt und die EU ein direktes Protektorat einzurichten versucht: All das ist offen. Wenn nicht noch etwas Außergewöhnliches passiert – ein Aufstand der Linken in SYRIZA, ein Generalstreik, eine breite Volksbewegung, die am Nein des Referendums anknüpft –, dann sind wir Zeugen eines <I>echten Staatsstreichs<I>. Die Machtübernahme erfolgt hier allerdings von außen – durch EU, EZB und IWF. Wobei diese „Institutionen“ ihren Job im Auftrag der großen Konzerne und der Finanzwelt durchziehen, die die Ressourcen des Landes und eine weiter verarmende Bevölkerung ausbeuten werden.
Und wir? Wir haben bei dieser Tragödie eine Mitschuld. Es gelang der Linken in Europa nicht, die erforderliche breite Solidarität mit der Bevölkerung in Griechenland und mit der von SYRIZA geführten Regierung aufzubauen. Es gab in Madrid, Lissabon, Rom und Berlin keine Massenmobilisierungen für Griechenland – obgleich Millionen Menschen voller Sympathie den Kampf der griechischen Bevölkerung verfolgten. Umso wichtiger ist es in diesen Tagen voller Bitterkeit und Zorn, Solidarität zu zeigen und jede Chance zu nutzen, der Arroganz von Kapitalmacht und Kolonialherrschaft Widerstand entgegen zu setzen.