FactCheck:Europe (FCE) – Skizze einer möglichen Fortentwicklung
von Sebastian Gerhardt und Winfried Wolf

Die Idee einer aufklärenden Zeitung zu Griechenland entstand Mitte März im Rahmen der Produktion der Frühjahrsausgabe der Zeitschrift „lunapark21“ und in Einzelgesprächen, so mit Karl Heinz Roth in Bremen und mit Dorothee Vakalis in Griechenland. Dabei gab es zwei Publikationserfahrungen, auf denen aufgebaut werden konnte: Die seit 1999 bestehende – während des Kosovokriegs gegründete – „Zeitung gegen den Krieg – ZgK“ und die Ende 2014 ad hoc gegründete und bis Mai 2015 in fünf Ausgaben erschienene „Streikzeitung – Ja zum Arbeitskampf der GDL – Nein zum Tarifeinheitsgesetz“. Wieder haben wir eine relativ hohe Auflage ins Auge gefasst // Der Preis je Ex. im unteren Cent-Bereich //Die Abnehmenden bestellen eine größere Zahl Exemplare und verteilen diese (überwiegend gratis). Klar war der Trägerverein, das Büro für Frieden und Soziales (BFS e.V.) – und damit die Unabhängigkeit des Projekts.

Fünf Ausgaben Faktencheck:Hellas
Ende März fiel die Entscheidung, das Projekt mit einem Kaltstart zu beginnen. Am 4. April lag Nummer 1 gedruckt vor (hellblaue Zusatzfarbe; Titel: „Waterboarding-Folter und Griechenland-Krise“). Am gleichen Tag lag diese erste Ausgabe (= „FCH01“) der „jungen Welt“ bei (mit 24.000 Ex.). Am 7. April begann der Vertrieb auf Rechnung. Zeitgleich ging die Website faktencheckhellas.org an den Start. Innerhalb weniger Tage war die gesamte erste Auflage von FCH01 (mit 31.500 Ex.) vergriffen. Es folgte eine Nachauflage. Insgesamt wurden von der ersten Ausgabe 75.000 Ex. gedruckt (davon, wie erwähnt, 24.000 als jW-Beilage) und am Ende 45.038 Ex. auf Rechnung vertrieben.

Noch im April folgte die zweite Ausgabe (FCH02) – gelbe Zusatzfarbe; Titel „Ein Land wird plattgemacht“. Einerseits wollten sich vor dem 1. Mai viele Gruppen mit Material eindecken, das Informationen und Positionen bot. Andererseits gab es im Herausgeberkreis die Erwartung einer raschen Zuspitzung der Lage – und den Wunsch, entsprechend rasch zu reagieren. Einige kleinere Gruppen wurden von diesem Produktionstempo – zwei Ausgaben binnen vier Wochen – etwas überrollt. Dennoch lief auch diese Ausgabe gut und war bis Mitte Mai ausverkauft (mit 41.000 Ex. auf Rechnung vertrieben).

Im Juni erschien noch Ausgabe 3 (tiefblaue Zusatzfarbe; Titel „Die drei von der Profit-Tankstelle“). Diesmal wurde ein Abstand von 4-5 Wochen zu Nr. 2 eingehalten. Verkauft wurden von dieser Ausgabe 42.500 Ex. Im Juli, kurz nach dem Referendum und zwei Tage nach der ersten „Kapitulationsurkunde“, die Tsipras am 13.7. in Brüssel unterzeichnete, erschien Ausgabe Nr. 4 (rote Zusatzfarbe; Titel: „Schwindende Hoffnung – bleibende Solidarität“). Erneut wurden 41.000 bestellt und auf Rechnung vertrieben.

Schließlich – mit nunmehr großem, rund siebenwöchigem Abstand – erschien Mitte September Nr. 5 (grüne Extrafarbe; Titel „Organisierte Zerstörung – bleibende Lehren“). Von dieser Ausgabe druckten wir „nur“ 25.000 Ex.; auf Rechnung vertrieben wurden bislang 18.400 Exemplare.

Gesamtabsatz und Vertriebsstruktur
Es gab zweifelsohne einige Kritik am FCH-Projekt – gerade auch in der Startphase. Und es gab Lob. Das größte Lob war der Absatz: Mitte Mai hatten wir bereits 87.000 Zeitungen auf Rechnung vertrieben. Das heißt: Hunderte Kolleginnen und Kollegen waren bereit, Kraft, Zeit und auch Geld für die Verbreitung der Zeitung einzusetzen. Offensichtlich hatte das Projekt mehr als nur einen Nerv getroffen. Insgesamt haben wir mit den fünf deutschen Ausgaben knapp 188.000 Zeitungen auf Bestellung vertrieben. (Zusätzlich gab es die erwähnte Beilagen zur jW, zu einer Teilauflage der WOZ und die Beilage in der UZ. Dabei waren die Beilagen für die jW ganz und die in der WOZ teilweise von FCH zu finanzieren).

Beim Vertrieb zeigte sich sofort ein klarer Ost-West-Unterschied: Bestellungen aus den „neuen Ländern“ und Ostberlin waren klar unterrepräsentiert. Das änderte sich trotz lokaler Initiativen hier und da bis zum Ende nicht.

Etwa 36 Prozent der Bestellungen gingen an Adressen von Einzelpersonen, ohne Organisations- oder Funktionsangabe. Dieser Anteil lag bei FCH01 höher, bei FCH02 niedriger, und dann ziemlich stabil beim Mittelwert. Diese Einzelbestellenden waren damit die relativ stärkste Gruppe der FCH-Beziehenden.

22 Prozent aller Zeitungen gingen an Adressen, die per Organisationsangabe oder Funktion der LINKEN zuzuordnen waren (einschließlich Luxemburg-Stiftung, MdB-Büros, Kommunalfraktionen usw.). Den größten Anteil hatte die Linke bei Nr. 2 (25,5 %), den geringsten bei Nr. 4 (16,5 %). Trotz der weitgehenden Fehlanzeige in den neuen Bundesländern stellte die Abnahme aus diesem Spektrum das zweitgrößte Kontingent.

10 Prozent aller Zeitungen gingen an explizite Attac-Adressen im Inland. An Attac-Österreich gingen weitere rund 2 Prozent. (Bei Ausgabe 3 machten Attac BRD und Attac Österreich addiert mal kurz 16,5 % aus).

An gewerkschaftliche Gliederungen in Deutschland gingen 11 Prozent (zwischen 18,5% bei Nr. 2 und 1,7% bei Nr. 5). Der größte Teil davon wiederum ging an Ver.di, davon die Hälfte nach Stuttgart, daneben vor allem München und Hannover. Aber punktuell auch an die IG Metall, so in Salzgitter. Mit den gewerkschaftlichen Bestellungen aus Österreich waren es knapp 12 Prozent. Klar war der Anteil bis zum 1. Mai deutlich stärker. Bei Nr. 5 sind dann die gewerkschaftlichen Bestellungen förmlich kollabiert.

Anspruch: Gegeninformation
Der Name FaktenCheck war Programm. Es ging darum, einen Beitrag zur Entwicklung einer demokratischen Gegenöffentlichkeit zu leisten, die angeblichen Fakten zu Griechenland, die in den fast gleichgeschaltet erscheinenden Medien verbreitet wurden, zu checken, zu überprüfen – und diesen die Wahrheit, authentische Berichte und insbesondere überzeugende Fakten gegenüberzustellen. Teil dieser Konzeption war die Seite 2 mit den „Stammtischargumenten“. Dieses Element konnte in allen fünf FCH-Ausgaben erhalten bleiben.

Grundsätzlich haben wir jedoch den Anspruch „wenig linke Zeitung // vor allem aufklärende Gegeninformationen mit vielen kleinen Häppchen“ nicht im gewünschten Maß durchgehalten. Es gab faktisch immer Schwerpunktthemen und eher weniger kurze Gegen-Fakten. Letzten Endes wurde die – durchaus richtige Grundkonzeption – höchstens unzureichend realisiert. Unter der Hand wurde FCH doch eine – ganz gute – „typisch linke“ Publikation. Das korrelierte damit, dass die breite Solidaritätsbewegung ab Mitte Juli bald rückläufig war und parallel das Bedürfnis nach innerlinker Information und Diskussion stieg.

Innere Strukturen: Redaktion und Herausgeberkreis
Es gelang, für FCH einen Herausgeberkreis von mehr als fünfzig Personen zu gewinnen, der ein breites Spektrum abdeckte und der einigermaßen repräsentativ war für das, was FCH sein sollte und teilweise war. Dieser Kreis der Herausgeberinnen und Herausgeber war sicher primär eine Runde von Menschen, die das Projekt nach außen repräsentierten.

Zur FCH01 gab es eine knappe Plattform für das Projekt. Sie wurde in der Erstfassung von Werner Rügemer ausgearbeitet. Ab Ausgabe 2 gab es diese Plattform in deutscher und griechischer Sprache. In den Ausgaben 4 und 5 verzichteten wir auf die Plattform, zunächst aus Platzgründen, dann weil die Ereignisse einen Teil des Textes überholt hatten.

Es gab eine FCH-Redaktion bestehend aus Sebastian Gerhardt, Werner Rügemer, Mag Wompel, Winfried Wolf. Faktisch wurde die Redaktionsarbeit von Sebastian G. und Winfried W. von lunapark21 getragen. Dorothee Vakalis war in redaktionelle Besprechungen fast aller Ausgaben einbezogen, ab der dritten Ausgabe auch Nikos Chilas. Am Ende galt dies punktuell auch für Margarita Tsomou. Die Website besorgte Susanne Rohland (labournet). Die Gestaltung lag bei zwei Kollegen, die sich abwechselten. Die Bestelleingänge-Sortierung lag bei Heino Berg (SAV). Den Vertrieb selbst machte eine kleine engagierte Firma.

Zusammenarbeit – gute [und weniger gute]
Es gab eine offizielle Unterstützung für das FCH-Projekt seitens Attac, Antikapitalistische Linke (in der LINKEN), Express, Hamburger Solidaritätsgruppe Griechenland, LabourNet Germany, isl, Lunapark21 und Sand im Getriebe (SiG). Attac war nur dem Namen nach mit an Bord; aus diesem Kreis beteiligte sich niemand direkt und aktiv.

Sehr speziell war das Verhältnis zur LINKEN. Die Mitherausgeber_innen aus dem LINKE-Spektrum waren aktiv beim Projekt engagiert (auch bei den Spenden). Allerdings waren es aber auch „nur“ die Genannten aus der LINKEN, die zu einer solche Unterstützung bereit waren. Wir hatten alle MdB und einzelne aus der Partei, so Bernd Riexinger, mit der Bitte angeschrieben, das Projekt als Person zu unterstützen. Zumeist vergeblich. Aich Versuche zu einer Kooperation mit der rls scheiterten komplett. Es ging dabei nicht um Geld; wir erklärten ausdrücklich, dass wir keine finanzielle Unterstützung erbeten würden, aber stark interessiert daran seien, dass die rls in allgemeiner Form das Projekt (durch Namenssetzung im Unterstützerkreis bzw. durch Werben für FCH bzw. durch Hilfe in anderen Ländern, damit es zur Ausgabe von FCH-Ausgaben in anderen Sprachen kommen würde) begrüßen und fördern würde. Auch das blieb ohne positive Reaktion. „Griechenland“ war innerhalb der Partei „Die LINKE“ und deren Stiftungs-Umfeld offensichtlich stark umstritten und kein Siegerthema. Klar war dann auch die Position nach der Unterschrift unter das Memorandum of Understanding No 3, dass die LINKE in ihrer Mehrheit und mit prominenten Vertretern pro Syriza und für den Kurs von Tsipras II. Position bezogen.

Zunehmende Kontroversen
Die vierte FCH-Ausgabe erschien einen Tag nach der Kapitulation von Syriza, am 14. Juli. Schon während der Produktion, in den Tagen zwischen Referendum und Eurogipfel, hatte sich Karl Heinz Roth aus dem Herausgeberkreis zurückgezogen. Die Begründung ging in die Richtung, wir würden die Kritik an Syriza nicht ausreichend artikuliert vortragen bzw. nicht in angemessenen Maß die linke Kritik an Syriza unterstützen. In ähnlicher Richtung argumentierte die SAV nach Erscheinen von FCH04.

Der wesentliche Grund für das teilweise Nachlassen des Zusammenhalts bei diesem Soli-Projekt dürfte banal sein: Erfolge einen, Niederlagen spalten. Die Wahrnehmung des Projektes änderte sich. FCH hatte nie vorgehabt, in größerem Umfang in die innergriechische Debatte einzugreifen. Mit Ausgabe 5 hatten wir den Versuch gemacht, einerseits die damals vorhandenen drei Positionen in SYRIZA (bzw. die zwei in SYRIZA und die Volkseinheit als Abspaltung von SYRIZA) neutral zu präsentieren, das Ja zum neuen Memorandum aber gleichzeitig doch eindeutig und kritisch zu qualifizieren. Auf Seite 1 war zu lesen:

(Die ) Haltung von Alexis Tsipras, der griechischen Bevölkerung zu erklären, man habe sich der Erpressung gebeugt und einem Memorandum zugestimmt, an dessen Wirksamkeit man selbst nicht glaube, wird auf Dauer nicht überzeugen. … Etwas in der Praxis zu tun, an das man nicht glaubt, heißt im Grunde: unglaubwürdig sein.

Vor den Wahlen vom 20. September gingen fast alle Beobachter und ganz besonders die linken Kritiker von FCH davon aus, dass Syriza mit der Abspaltung „Volkseinheit“ ein relevanter politischer Gegner auch auf der parlamentarischen Ebene erwachsen würde. Das ernüchternde Wahlergebnis der „Volkseinheit“ von 2,8 Prozent vom 20. September, der weitgehend gleich hohe Stimmenanteil, den Syriza erreichen konnte, entsprach dann in keiner Weise diesen Erwartungen. Ohne Zweifel kann man das Wahlergebnis erklären: Zunehmende Wahlenthaltung; allgemeine Resignation. Es kann durchaus auch sein, dass es in nächster Zeit zu einem politischen Niedergang von Syriza und zu einem Aufstieg einer Opposition links von Syriza kommt. Dennoch ist zweierlei festzuhalten: (1) Dieses Wahlergebnis hatten insbesondere linke Syriza-Kritiker nicht erwartet und vorhergesehen. (2) Hätte FCH der zitierten Kritik von links nachgegeben und die aktuelle FCH mit einer solchen Parteinahme „ausgestaltet“, dann wäre das Projekt substantiell gefährdet gewesen. Und wir hätten wohl auch „daneben“ gelegen.

Zusammenarbeit mit Dorothee Vakalis – FCH und Flüchtlingsarbeit
Von der ersten Ausgabe an gab es eine enge Zusammenarbeit des FCH-Teams mit Dorothee Vakalis. Die Zusammenarbeit zwischen FCH und Dorothee erwies sich für das Gesamtprojekt FCH als wesentlich und für die konkrete Arbeit als enorm furchtbar. Viele Kontakte in Griechenland – so diejenigen zu EFSYN (siehe den folgenden Abschnitt), wichtige Beiträge in der FCH-Zeitung („Thessalonicher Brief“ in FCH02 und Artikel zu NS-Verbrechern in Griechenland nach 1945 in FCH03, S. 4) und insbesondere so gut wie alle Beiträge beim Thema Flüchtlinge kamen über sie zustande. Insbesondere die bislang letzte Ausgabe von FCH (Nr. 5) war geprägt von diesem Thema – und profitierte in besonderem Maß von der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Dorothee Vakalis.

Zusammenarbeit mit EFSYN
Sehr früh – nach FCH02 – gelang es uns durch Vermittlung von Dorothee Vakalis eine Zusammenarbeit zwischen FCH und der „Zeitung der Redakteure“ (Efimerida ton Syntakton – EFSYN) herzustellen. Bei EFSYN spielte dabei Dimitris Psarras, durch seine Veröffentlichungen zur „Goldenen Morgenröte“ (im Laika-Verlag) auch in Deutschland bekannt, eine wichtige Rolle.

Ab FCH03 erschien FCH auch in griechischer Sprache und teilweise als Beilage in EFSYN bzw. mit FCH-Artikeln, die in den redaktionellen Teil von EFSYN integriert waren. Während der Untertitel von FCH in deutsch (und in allen anderen Sprachen außer griechisch) lautete: „Solidarität mit der Bevölkerung in Griechenland“, wurde im Griechischen bewusst der folgende andere Untertitel gewählt: „Eine andere Stimme aus Deutschland“.

Natürlich war uns klar, dass eine griechische Ausgabe von FCH für griechische Leserinnen und Leser, die sich dort zur Linken zählten, nur wenig substantiell Neues zu berichten haben würde. Doch wir wussten, dass ein solches Projekt eine große symbolische Bedeutung haben und zu Recht als ein besonderer Ausdruck der internationalen Solidarität verstanden werden würde. Im FCH-Auftrag war Winfried Wolf im Juni und im Juli für FCH zwei Mal in Athen und besuchte die EFSYN-Redaktion. Wir konnten dabei in einer für die griechische Linke und für diese Zeitung einigermaßen kritischen Zeit (als die Banken geschlossen waren) eine FCH-Spende in Höhe von 10.000 Euro an EFSYN übergeben und auch in anderer Weise praktische Unterstützung leisten.

FCH war in erster Linie ein publizistisches Projekt. Doch es gelang dem FCH-Team zusammen mit Elmar Altvater nach der Ankündigung des Referendums in der Nacht zum 27. Juni auch ein kleiner Coup: Elmar hatte den Entwurf für eine politische Erklärung von deutschen Linken und Intellektuellen für das Referendum verfasst. Nach kurzer Abstimmung konnten unter denselben um die 160 Unterschriften gesammelt werden. In einer koordinierten Aktion erschien der Aufruf am 29. Juni in der griechischen Tageszeitung EFSYN und auf der FCH-Website.

Bis zu fünf FCH-Übersetzungen
Aus der Zusammenarbeit mit EFSYN entstand die Idee, aus FCH könnte das Projekt einer europaweiten Griechenland-Solidaritätszeitung erwachsen. FCH03 erschien dann außer in deutscher auch in griechischer, englischer und französischer Sprache, FCH04 darüber hinaus in Italienisch und Spanisch. FCH05 erschien trotz der im Niedergang befindlichen Solidaritätsbewegung noch in griechischer, englischer und spanischer Übersetzung.

FCH stellte dabei jeweils ein komplettes Layout als achtseitige Publikation. Diesen Aufwand betrieben wir nicht aus Jux und Tollerei – wir verfolgten damit, wenn auch am Ende vergeblich, ein sehr konkretes Ziel: Die Idee war, dass es am Ende eine Art Schneeballeffekt geben würde und sich aus einer deutschen FCH eine europaweite Griechenland-Solidaritätszeitung, auch mit eigenen Redaktionen, herausbilden könnte. Doch der vorwärtsweisende und Hoffnung verbreitende Prozess in Griechenland nahm in den Tagen nach dem Referendum die bekannte jähe Wende. Somit hatten wir faktisch im Zeitraum zwischen dem Erscheinen der ersten nicht deutschen Ausgabe (= FCH03) bis zu der krassen politischen Wende nur rund 5 Wochen zur Verfügung, um für das Projekt einer solchen europaweiten Solidaritätszeitung zu werben – zu wenig.

Konferenz
Am Wochenende 17. und 18. Oktober veranstaltete FCH, unterstützt von Lunapark21 und LabourNet Germany, in Berlin im Haus der Demokratie eine Konferenz unter dem Titel „Griechenland und wir // NEIN zur Politik der €RPRESSUNG durch die EU – JA zu OFFENEN GRENZEN: Die EU ist verantwortlich für wirtschaftliche Misere, für Kriege und Flucht“

An der Konferenz nahmen insgesamt bis zu 75 Personen teil. Am Sonntag waren es in der letzten Diskussionsrunde noch rund 40 Personen. Die Zahl der Teilnehmenden lag damit deutlich unter den Erwartungen. Sie war andererseits doch noch so hoch, dass es kein Schlag ins Wasser war.

Die Voraussetzungen für waren ungünstig: Das Interesse an der Griechenland-Solidarität im Allgemeinen und an einer entsprechenden Konferenz im Besonderen hatte seit Mitte Juli und dann nochmals deutlicher nach dem 20. September erheblich nachgelassen. Der Kreis derjenigen, die diese Konferenz am Ende organisatorisch zu bewältigen hatten, war extrem klein.

Erwähnenswert ist jedoch, dass sich einigermaßen ungeplant auf der Konferenz auf zwei Ebenen eine positive Dynamik entwickelte: Erstens durch die anwesenden Flüchtlinge aus Syrien und den wunderbar engagierten Vasilis Tsartsanis, der vielen bei der Flucht geholfen hatte. Und zweitens durch – so Nikos Chilas – eine Art „Aufstand der Sprachlosen, also jener, die wegen der konventionellen Diskussionsordnung, von der Diskussion wirklich oder gefühlsmäßig ausgeschlossen waren. … Man hatte nämlich vergessen, dass das Publikum aus lauter Aktivisten bestand, die sich unbedingt einbringen und austauschen wollten. Ihr Eingriff war jedenfalls segensreich. Am Ende ist die Konferenz zu einer Antikonferenz geworden – mit genereller Beteiligung und mehr Erkenntnisgewinn. Gut so.“

Kosten und Spenden
FCH hat auch Geld gekostet: In einem knappen halben Jahr mehr als 60.000 Euro. Dabei wurde alle Arbeit des inneren FCH-Teams ehrenamtlich geleistet. Doch das Nötige konnten wir aus Bordmitteln bezahlen – auch Übersetzungen und Gestaltung (wenn auch zu nicht marktüblichen und damit zu Solidaritäts-Preisen). Dafür gab es, ergänzend zu der guten Zahlungsmoral bei den FCH-Bestellungen, eine erhebliche Spendenfreudigkeit der Nutzer. Mehrere hundert Einzelpersonen spendeten kleine und größere Beiträge (der größte betrug 500 Euro). Insgesamt erhielten wir im Zeitraum zwischen dem 27. März (mit der ersten Bekanntgabe des FCH-Projekts) bis Ende September 2015 16.752 Euro an direkten Spenden. Darüber hinaus dürfte es weitere ca. 3-4000 Euro an Spenden dergestalt gegeben haben, dass die Leute, die FCH bestellt hatten, die FCH-Rechnungen mit einer „Obendrauf-Spende“ versahen. Wobei es durchaus sein konnte, dass eine Rechnung über 8,50 Euro auf 100 Euro aufgerundet wurde.

Politische Bilanz
Im Rückblick zeigen sich die Vorzüge des Projektes: Mit einem eingespielten kleinen Team, politisch und finanziell unabhängig, konnte Faktencheck schnell und wenn nötig entschlossen auf neue Entwicklungen reagieren. Die Ausgaben enthielten eine Bandbreite inhaltlich, formal und politisch verschiedener Texte. Es gab keinen Fraktionszwang, auch wenn manche Leserinnen und Leser das erwartet – manche auch bevorzugt – hätten. Jeder Autor/jede Autorin verantwortete seine/ihre Texte selbst. Die Plattform und der Herausgeberkreis erwiesen sich als ausreichend breit und ausreichend stabil, dass der Laden weitgehend – von den oben genannten Ausnahmen abgesehen – zusammengehalten werden konnte, dies auch in extrem schwierigen politischen Zeiten, also über die jähen Wendungen in Griechenland nach dem 5. Juli 2015 hinweg.

Die Nachteile liegen ebenso auf der Hand. Faktencheck:Hellas war ein aufklärendes, aber kein organisierendes Projekt. Eine politische Debatte über tatsächliche Interventionen wäre sicher auch kompliziert geworden. Denn zu den Unterstützern gehörten verschiedene Menschen, die sich in einigen Punkten einig waren – in anderen nicht so sehr. Weder der Herausgeberkreis noch die Bestellenden, geschweige denn die Leserinnen und Leser waren in die politische Diskussion um die nächsten Nummern eingebunden. In den ersten Wochen haben wir noch versucht, durch regelmäßiges Nachfragen eine bestimmte Rückkopplung einzubauen. Selbst das haben wir nicht durchgehalten.

Die Erwartung jedoch, dass FCH selbst organisierend in der Solidaritätsarbeit hätte tätig werden können, stellt eine Überschätzung von FCH dar. FCH konnte bestenfalls begleitend zu solchen selbst organisierenden Tätigkeiten wirken. Am 22. November gab es im Rahmen der Tagung der Griechenland-Solidaritätsgruppen in Kassel eine intensive Diskussion über die Erfahrungen mit Faktencheck:HELLAS. Die dort Anwesenden, die in rund einem Dutzend Griechenland-Solidaritätsgruppen aktiv sind, zogen alle eine insgesamt gute, einige eine sehr gute Bilanz hinsichtlich FCH. Die im folgenden entwickelten Ideen zur Weiterentwicklung von Faktencheck:HELLAS zu einem FactCheck:EUROPE wurden dort erstmals vorgestellt und diskutiert.

Wie weiter? Skizze für FactCheck:EUROPE
FCH war als ein zeitlich begrenztes Projekt angelegt. Wobei es immer klar war, dass wir im Fall einer fortgesetzt positiven Entwicklung in Griechenland alles getan hätten, um das Projekt fortzusetzen, auszuweiten und auf breitere Beine zu stellen.

Die europäische Sparpolitik hat zwei Standbeine: Den allgemeinen, EU-weiten Stabilitätspakt und die Memoranden, die diejenigen Länder, die unter einen „Schutzschild“ flüchten und EU-(oder EU-IWF-) Hilfe annehmen mussten. Diese Form der Eurozonen-Austerität ist besonders bösartig, auch zynisch, weil sie einerseits die schwächsten Länder trifft, und andererseits von den Regierungen der reichsten Eurozonenländer, insbesondere von der Berliner Regierung, vorangetrieben wird. Gegen diese Memoranden-Politik regt sich naturgemäß der größte Widerstand in den Ländern der Peripherie, die damit politisch zu den schwächsten Kettengliedern der EU werden.

Die Frage, die sich stellt, lautet: Ist eine neue Basis für ein gemeinsames „Nein“ zur europäischen Austeritätspolitik möglich? Was kann der Beitrag von FCH sein? Einiges ist klar:

FCH als Website bleibt erhalten und wir prüfen, wie diese Website weiterentwickelt und aktuell gehalten werden kann. Ins Auge gefasst wird eine weitere FCH-Ausgabe als Print. Das ist, die bestehende Arbeitsbelastung berücksichtigend, frühestens möglich ab Mitte Januar 2016.

Geplant ist die Herausgabe eines Schwerpunktheftes von Lunapark21 (Lunapark21 Extra Nr. 12) gemeinsam mit FaktenCheck:HELLAS – u.a. mit Beiträgen von der Griechenland-Konferenz am 17./18. Oktober, aber auch allgemein zur Beförderung der Debatte über die Erfahrungen mit der Entwicklung in Griechenland 2015 und der Griechenland-Solidarität.

Im Frühjahr 2016 erscheint von Nikos Chilas und Winfried Wolf – beide aktiv bei Faktencheck:HELLAS – das Buch „Griechische Tragödie: Rebellion. Kapitulation. Ausverkauf“ (Promedia Wien), ebenfalls als ein Diskussionsbeitrag zu den Erfahrungen in und um Griechenland.

FaktenCheck:HELLAS sollte fortentwickelt werden in eine Publikation FaktenCheck:EUROPA oder FactCheck:EUROPE (FCE): In eine Publikation, die die Kritik an der europaweiten Austeritätspolitik zum Thema hat und die als Print-Ausgabe im Krisenfall zu den jeweiligen „hot spots“ der Memorandums-Politik erscheint. FCE sollte von vornherein in mehreren Sprachen erscheinen.

Finanzielle Lücke: bitte spenden!
FCH konnte bislang – wie dargelegt – alle Ausgaben, alle Übersetzungen, die Konferenz usw. aus „Bordmitteln“ finanzieren. Dennoch ergibt sich in der Gesamtbilanz eine Lücke, die bislang nur durch einen Rückgriff auf die finanziellen Reserven des Trägervereins abgedeckt werden konnte. Diese Lücke ist nicht unendlich – sie beträgt rund 2500 Euro.

Wir bitten alle, die das Projekt gut fanden und die vielleicht auch die Idee der Fortentwicklung von FCH zu FCE spannend finden, zu prüfen, ob sie dazu beitragen können, dieses Defizit aufzufüllen. Konto siehe unten.

24. November/22. Dezember 2015 // Sebastian Gerhardt und Winfried Wolf

Spenden für FCH & FCE:
Konto: BFS e.V.
Mittelbrandenburgische Sparkasse, IBAN DE04 1605 0000 3527 0018 66, BIC WELADED1PMB