Zusammenfassende Übersetzung eines Berichts von Vasilis Tsartsanis, erschienen in der Zeitung EFSYN am 23. Juni 2015, von Dorothee Vakalis, Thessaloniki

fluechtlinge-grDiese Menschen sind Opfer. Sie kommen aus Syrien, aus Afghanistan – „Kinder eines niederen Gottes“. Und sie werden nun ein zweites Mal geschlachtet. Dieses Mal vor unseren Augen, im Herzen Europas.

Ein nicht enden wollender Strom von erschöpften Seelen ist diese Odyssee von Flüchtlingen. Es ist eine Flucht nach Europa, dessen Strafmaßnahmen sie jedoch direkt in die nackte Gewalt, in Überfälle, in die Geiselnahme ohne jede Barmherzigkeit, in die Klauen der Mafia treibt. In den letzten Monaten betrug die Summe, die in die Hände dieser Mafia fällt, bis zu 500.000 Euro – täglich. Erzielt durch direkte Ausbeutung während der Passage der Grenze zu FYROM [Makedonien[1]]. Die griechische Regierung verbietet inzwischen die Beförderung der Flüchtlinge in öffentlichen Verkehrsmitteln gleich welcher Art, so dass diese zu Fuß mehrere hundert Kilometer in unmenschlicher Weise zurücklegen müssen.

Ohnmächtige überall

Die Flüchtlinge gehen 75 Kilometer zu Fuß, bis sie nach Idomeni gelangen. Von diesem anstrengenden Marsch haben sie oft starke Muskelschmerzen und laufen Gefahr an Rhabdomyolyse zu erkranken, eine lebensgefährliche Erkrankung der Auflösung des Bindegewebes, die zu Nierenversagen führen kann. Das ist schrecklich. Besonders in den heißen Sommermonaten. Täglich sammeln wir ohnmächtige Menschen an den Landstraßen und auf Feldern auf, die an Austrocknung leiden.

In unserer Gegend hat sich die Mafia immer mehr ausgebreitet. Sie genießt hier eine Art Asylrecht – als Resultat der Untätigkeit Europas. Jedes neue Verbot der Herrschenden schickt die Flüchtlinge in die Hände der Schlepper. Wenn die Syrer nicht bereit sind, ihnen Geld zu zahlen, dann kommen die kriminellen Banden, die dafür sorgen, dass sie ihnen das Geld abnehmen auf jede nur erdenklich schlimme Art und Weise … auch mit nackter Gewalt, die oft auch dazu führt, dass ganze Gruppen in Geiselhaft genommen werden.

Die Flüchtlinge, die täglich Idomeni passieren, mit dem Ziel Europa, befinden sich in direkter Gefahr. Die täglichen Überfälle haben dazu geführt, dass Syrer beginnen, sich selbst zu schützen.

Die Gruppen, die die Grenze passieren, werden zu kleinen quasi militärischen Einheiten, die bis zu 300 Personen zählen. Damit sie sich selbst und ihre Familien schützen können vor den Banden, die auf dem Gebiet von FYROM ihr Unwesen treiben, sammeln sie Stöcke und Steine, wappnen sich mit Mut.

In den sozialen Medien gibt es seit einiger Zeit täglich Berichte von Flüchtlingen, die von gewalttätigen Überfällen berichten. Im Folgenden gebe ich einen solchen Bericht wieder:

A. ist ein junger Mann von 23 Jahren. Seitdem ihn die Kugel eines Scharfschützen traf, ist er behindert. Eines Mittags kamen einige Syrer in mein Dorf und baten um Hilfe, weil sie nach ihrem 75-Kilometer-Fußweg von Saloniki nach Idomeni Gefahr liefen, Austrocknung zu erleiden. Seine Freunde trugen A. auf Händen vom Feld. Die Gruppe umfasste 34 Leute […] Nachts um 3 Uhr meldeten sich die gleichen Leute; sie schrieen ins Telefon, erbaten ärztliche Hilfe und Schutz vor den Angriffen der Mafia. Ich alarmierte sofort die griechische Polizei, um an der Grenze zu FYROM einzugreifen. Mit dabei: ein Journalist der Zeitung Le Monde. Um 4.00Uhr morgens kamen wir an der Grenze an. Wir gingen mit Taschenlampen in den Wald. Das, was ich dann sah, hat mich zutiefst erschreckt und als Mensch beschämt. Die, denen wir noch vor wenigen Stunden geholfen hatten, kamen jetzt nun aus dem Wald: voller Blut, furchtbar geschlagen und völlig verschreckt. Es habe kein Erbarmen mehr gegeben, nicht einmal für den behinderten A. Umgehend brachten wir elf Personen ins Gesundheitszentrum nach Polikastro und vier Schwerverletzte ins Allgemeine Krankenhaus nach Kilkis, unter ihnen A. Es bestand Gefahr für seine Nieren. Als wir nach dem Schock wieder zu uns kamen, hat er uns beschrieben, was passiert war.

„Als wir einige Kilometer auf dem Gebiet von FYROM zurückgelegt hatten, hielt uns die Polizei an. Sie richtete aus einer Entfernung von 10 bis 15 Metern die Scheinwerfer der Polizeiwagen auf uns. Wir blieben alle wie angewurzelt stehen. Dabei nahmen wir nicht wahr, dass sich 120 bis 150 Menschen von hinten an uns heranmachten und uns überfielen. Sie haben uns geschlagen. Sie haben uns beraubt – und all das vor den Augen der Polizei von FYROM. Wir haben gefleht. Wir haben gekämpft. Keine Regung von Seiten der Polizei.

Hier stellt sich eine Frage: Es gab gemeinsame Streifengänge der FYROM Polizei mit Polizisten aus Deutschland. Das war, wie uns afghanische Flüchtlinge berichtet hatten, auf alle Fälle so im März 2015. Haben diese deutschen Polizisten keinerlei von diesen zahlreichen Gewaltvorkommen wahrgenommen?

Der Weg nach Europa erstickt jede Hoffnung als Folge der Untätigkeit vieler Länder hinsichtlich des Schutzes der elementarsten Rechte der Flüchtlinge. Seit zehn Monaten werden hier täglich Menschen zu Opfern rücksichtsloser Gewalt. Das Überschreiten der Grenzlinie von Griechenland nach FYROM und später die Wege nach und in Ungarn sind blutgetränkt.

Im Zug der Schande

Die Flüchtlinge hatten mit ihren Schleppern vereinbart, dass sie sie für 3000 Euro pro Person über die Grenze nach FYROM und dann weiter bis nach Österreich bringen sollten. An der Grenze selbst wurden sie für einige Stunden in ein verlassenes Gebäude verbracht. Dann führten sie die Schlepper zum Bahnhof von Gevjelia, der ersten Station in FYROM. Dort wurden ungefähr 500 Leute von ihnen in Transportwaggons gepfercht – zusammen mit einigen Afghanen. Diese arbeiteten mit den Schleppern zusammen. Sie hatten Messer bei sich und schlugen jeden, der versuchte zu telefonieren oder der ein Licht anzünden wollte. Sie waren dort eingeschlossen; der Waggon stand dort acht bis zehn Stunden. Dann kam FYROM-Polizei, öffnete die Tür – und verschloss sie wieder. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Die Flüchtlinge dachten, dass man sie passieren ließe. Aber der Zug hielt bereits nach zehn Minuten wieder an. Die Flüchtlinge glaubten, man sei an einer Bahnstation angelangt. Nach einigen Stunden verstanden sie, dass der Zug einfach auf freier Strecke abgestellt worden war. Sie riefen den Schlepper an. Der antwortete ihnen, er arbeite mit der Polizei zusammen; man habe ihm zugesagt, dass der Zug passieren könne. Danach war die Telefonverbindung tot. Die Flüchtlinge blieben viele Stunden lang eingeschlossen im Waggon, ohne ausreichenden Sauerstoff und dichtgedrängt mit vielen anderen. Manche wurden ohnmächtig. Andere hatten Atemprobleme. Unter ihnen waren schwangere Frauen und kleine Kinder.

Sie begannen sie, an die Türen zu schlagen, damit ihnen jemand öffne. Später riefen sie die Polizei von FYROM an, die so tat, als verstünde sie nicht und ihnen die Telefonverbindung kappte.

Danach riefen sie die Notnummer 112 an. Sie baten die griechische Polizei um Hilfe und schickten die genaue Ortsangabe mittels GPS. Die griechische Polizei machte sich auf den Weg zu helfen. Sie öffnete die Tür des Waggons und brachte sie zur nächsten griechischen Polizeistation. Nach Griechenland kehrten jedoch nur 94 Personen zurück. Wo sind die anderen? Sind sie noch am Leben?

„Krebsgeschwür der Migration“

Die Gewalt, die Angst, die Schläge und Überfälle, die die Flüchtlinge als Opfer während ihres Versuches, die Grenze zu überqueren, erleben, haben die Gestalt eines bösartigen Krebsgeschwürs der Migration angenommen, das immer größere Wucherungen zeitigt.

Nun erwartet die Flüchtlinge eine neue Strafe unter der gleißenden Sonne Griechenlands. Mit der Wahl von SYRIZA hat eine unmenschliche Behandlung durch das Ministerium für den Schutz des Bürgers begonnen. Alles unter der Anweisung und den strengen Regeln Europas. . Indem man den Flüchtlingen den Zutritt zu öffentlichen Verkehrmitteln untersagte, das heißt zu Bussen, Taxis und jedem anderen Mittel, werden sie dazu gezwungen, diese 75 km zu Fuß zurückzulegen in großer Hitze. Schwangere, Babys, Kinder, Alte, Junge fallen neben den Straßen und auf den Feldern in Ohnmacht und bitten um einen Schluck Wasser.

Ich schäme mich für all diese Bilder der Schande. Aber ich schäme mich noch mehr für diese „Beschmutzung“ unserer Mitmenschen, diese Mal von Seiten einer linken Regierung. Jeder, der es wagt, diese Verordnungen nicht zu beachten und einen Behinderten oder eine Schwangere in seinem Auto mitnimmt, der wird dem Staatsanwalt vorgeführt und zwar mit sofortiger Wirkung, oftmals mit unangenehmen Folgen.

Solches passierte einem Mitbewohner, der einen behinderten Syrer in seinem Auto mitnahm. Seit dem Sommer 2014 und besonders seit September 2014 entwickelt sich an der Grenze zu FYROM in Idomeni eine andere Seite dieses weltweiten Dramas, das sich Migration nennt. Idomeni ist das letzte Dorf in Griechenland , 75 km von Saloniki entfernt.

Diese Menschen geben ihr letztes Hab und Gut den Schleusern, aber danach werden sie dann zu Opfern von den vielen Banden, die an der Grenze ihr Unwesen treiben. Nachdem sie schon vorher jede Form der Erniedrigung erlebt hatten, hatten sie sich an den Ufern des Flusses Axios im Schilf, im Wald im Grenzgebiet versteckt gehalten und hatten auf den Tag ihrer langersehnten Flucht gewartet.

Jeweils 300 bis 500 Menschen, unter ihnen Kinder, Babys, Schwangere, sind hier jeder Art von Gefahr und Beschwernis ausgesetzt. Sie sind gefangen in der Unbeweglichkeit der internationalen Politik in der Flüchtlingsfrage. Aber sie sind auch Opfer einer bornierten Behandlung durch die Staaten Türkei, Griechenland, FYROM, Serbien und Ungarn, die die Menschenrechte mi Füßen treten.

Die Situation in Idomeni muss uns eine Lehre sein. Wir müssen wappnen für das nächste Drama, das die Mafia schaffen wird. Vorsorge und Information können solche Krebsgeschwüre mildern und verhindern.

Dieses Europa mit all dem Vergessen, mit dieser selektiven Erinnerungskultur!

Dieses Europa, das sich – zu Recht! – für die Rechte von Tieren einsetzt, darf nicht gleichzeitig unbeteiligt diesen Kreuzigungsgängen von Tausenden unserer Mitmenschen zuschauen!

[1] F.Y.R.O.M. = Abkürzung für The former Yugoslav Republic of Macedonia. Unter dieser Bezeichnung ist der sich selbst als „Republik Makedonien” bezeichnende und 1991 gegründete Staat durch die UNO anerkannt. Griechenland akzeptiert die Bezeichnung Makedonien nicht und begründet dies mit befürchteten Gebietsansprüchen Makedoniens auf die griechische Region Makedonien.