Katarina Notopoulou in FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Das Recht auf Gesundheit ist das Recht, das in den letzten fünf Jahren in Griechenland am schärfsten verletzt wurde. Es gibt inzwischen eine Menge an wissenschaftlichen Studien, die belegen dass Massenarmut, Arbeitslosigkeit und die Deregulierung von Arbeitsbedingungen krank machen und auch Tod zur Folge haben: Die Zahl der Selbstmorde steigt, es gibt immer mehr so genannte „soziale Pathologien“ (Drogenmissbrauch, Alkoholismus, interfamiliäre Gewalt usw.). Aber nicht nur das: Sie führen auch zu einem Anstieg der Mortalität und dem tödlichen Ausgang von Krebserkrankungen, zu Herzproblemen und Infektionskrankheiten.

Das öffentliche Gesundheitswesen in Griechenland ist durch die Maßnahmen der Austeritätspolitik kollabiert. Das Recht auf freie und offen zugängliche medizinische Versorgung ist für den größten Teil der Bevölkerung abgeschafft. Menschen ohne Krankenversicherung – inzwischen rund ein Drittel der Bevölkerung – sind gezwungen, die kompletten Kosten für ihre medizinische Versorgung, Arzneimittel und Untersuchungen selbst zu bezahlen. Menschen mit Krankenversicherung sind gezwungen, einen großen Teil der Kosten, die nicht von der Versicherung gedeckt werden, ebenfalls selbst zu zahlen.

Das öffentliche Gesundheitswesen wurde in Griechenland 1980 von der sozialdemokratischen PASOK eingerichtet. Trotz seiner Schwächen und Inkonsistenzen (sehr zentriert auf Arzneimittel, mit Korruption verbunden etc.) garantierte es zum ersten Mal in der Geschichte des Landes freien Zugang zur kompletten medizinischer Versorgung. Dennoch hatte es vor der Krise mit vielen Problemen zu kämpfen: Laut einer offiziellen Untersuchung waren besonders diejenigen Menschen sehr viel unzufriedener, die die ambulante Versorgung des Krankenhauses in Anspruch nahmen im Vergleich zu den stationär Behandelten. Die ambulante Versorgung durch die Krankenhäuser wurde oft als „schlecht“, manchmal sogar als „tragisch“ angesehen. Viele Patienten waren unzufrieden darüber, dass es keine Information am Empfang der Krankenhäuser gab. Ein großes Problem waren die Wartezeiten und die Schlangen bei den Notaufnahmen, die grundsätzlich länger als eine Stunde waren.

Das Phänomen von langen Wartezeiten fand man aber auch im ambulanten Sektor. Es vergingen manchmal Monate von der Terminvergabe bis zum tatsächlichen Behandlungstermin. Dies ließ auch die Korruption in diesem Bereich wachsen: Sowohl Ärzte als auch anderes Personal ließen sich bestechen für eine frühere Terminvergabe. Wir müssen zugeben, dass Korruption ein zentrales Problem im öffentlichen Gesundheitswesen war, das in dem Jahrzehnt vor der Krise zu einer Parallelökonomie im Gesundheitswesen führte. Es war aber „nur“ ein wichtiges Problem, nicht die Regel. Wir betonen das deshalb, denn die Korruption ist das Hauptargument für die Privatisierung des öffentlichen Gesundheitswesens.

Aus der Sicht des Personals waren außerdem die niedrigen Einkommen der Pflegekräfte sowie die ungenügende technische und bauliche Ausstattung große Probleme. Schließlich wurde in den letzten Jahren aufgedeckt, dass die öffentlichen Versicherungen für private Dienstleistungen viel zu viel bezahlt haben; konkret haben sie zwei bis drei Mal mehr als die realen Kosten bezahlt, wenn sie mit privaten Dienstleistern im Gesundheitssektor kooperierten. Deshalb haben sie so hohe Schulden und können auch das Notwendige nicht mehr abdecken.

Auswirkungen der Memoranden

Neoliberale Politikstrategien im Gesundheitswesen führten bereits in den 1990er Jahren zu einer langsamen Zerstörung des öffentlichen Gesundheitswesens. Mit den Memoranden implementierte die griechische Regierung nun eine Politik der totalen und kompletten Zerstörung des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies lässt sich in folgende Phasen einteilen:

Phase 1 – Januar bis September 2010: Es gab eine 60-prozentige Kürzung des Budgets für die laufenden Betriebskosten des öffentlichen Gesundheitswesens. Danach funktionierte kaum noch etwas richtig. Außerdem wurden nun in öffentlichen Krankenhäusern auch private medizinische Dienste angeboten, für die die Patienten bezahlen müssen.

Phase 2 – September 2010 bis April 2011: Die PASOK-Regierung mit dem Gesundheitsminister Loverdos machte den Versuch, Geld einzutreiben, indem ein „Eintrittsgeld“ von drei Euro für Krankenhäuser erhoben wurde, das schnell auf fünf Euro anstieg (dies ist als erstes von der SYRIZA-Regierung wieder abgeschafft worden, die Red.). Zum ersten Mal in der Geschichte ist der Zugang zur medizinischen Versorgung im öffentlichen Gesundheitswesen durch eine gesetzliche Änderung nicht mehr offen und frei für jeden: Menschen mit Krankenversicherung sollen einen Teil der Kosten der Behandlung und der Medikamente selbst übernehmen; Menschen ohne Versicherung müssen die kompletten Kosten für Untersuchungen, Medizin etc. selbst übernehmen. Praktisch bedeutet das, dass sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen sind, denn sie können die großen Geldsummen nicht bezahlen. Dies trifft in Griechenland mehr als drei Millionen Menschen ohne Krankenversicherung, das sind rund ein Drittel der Bevölkerung, darunter Arbeitslose, Migranten ohne Papiere, Selbständige, die – bedingt durch die Krise – ihre Versicherung nicht mehr bezahlen können.

Phase 3 – Mai bis Oktober 2011: 137 Krankenhäuser wurden zusammengeführt auf 83 – ohne irgendwelche wissenschaftliche oder gesundheitspolitische Kriterien; 4.500 Betten wurden abgebaut. Psychiatrien und Einrichtungen für Drogenabhängige werden geschlossen. Damit machte die Regierung deutlich, dass sie kein Interesse daran hat, sich um besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen zu kümmern.

Phase 4 – November 2011 bis Januar 2015: Es gab eine ideologische und organisatorische Angleichung des öffentlichen und des privaten Gesundheitssektors, die deutlich wurde an der Überlassung von 556 gut ausgestatteten Betten des öffentlichen Gesundheitsdienstes an private Versicherungen für deren Versicherte. Es kam zu einem gewaltigen Anstieg der diagnostischen und therapeutischen Kosten im Krankenhaus. Das bedeutet sozialer Ausschluss oder den Tod für die Unversicherten und den Zusammenbruch der Krankenversicherungen in Folge ihrer Verluste sowie der Kürzung der öffentlichen Mittel.

All dies hatte für die neue Versicherungsorganisation EOPYY[1], die durch die Vereinigung aller bestehenden Versicherungsorganisationen entstanden war, erhebliche negative wirtschaftliche und betriebliche Auswirkungen. EOPYY erhielt nur die Hälfte der Gelder, die die vorherige Versicherungsorganisation IKA erhalten hatte. Die Auswirkungen waren schnell erkennbar: Es kooperierten deutlich weniger Ärzte mit EOPPY, die Bürokratie wuchs und die Arbeitsweisen waren einengend und unwissenschaftlich.

Phase 5 vollzog sich 2013/2014. Es kam zu weiteren Veränderungen in der Grundversorgung Griechenlands. Die von der griechischen Regierung als „Wiederherstellung“ bezeichneten Grundversorgungsdienste (PHS) beendeten endgültig das schon problematische und geschwächte System einer öffentlichen, kostenlosen Gesundheitsversorgung in Griechenland. Die letzten Reste des öffentlichen Gesundheitssystems wurden eingerissen. Der gesamte Bereich der Grundversorgungsdienste wurde in den „freien Markt“ überführt. Im Rahmen der Transformation von EOPPY wurden Tausende von Ärzten und medizinischem Personal zunächst als „verfügbar“ gekennzeichnet und anschließend ganz aus dem öffentlichen Sektor entlassen – wie von der Troika gefordert.[2]

Für die Vertreter des Memorandums in der Regierung blieb Gesundheit eine Ware, die es zu managen gilt, weshalb der private Sektor damit betraut wurde. Die Ergebnisse dieser Politik sind in den täglichen Tragödien sichtbar.

Katarina Notopoulou ist arbeitslose Psychologin und engagiert sich in der Sozialen Klinik der Solidarität in Thessaloniki. Sie ist Mitglied des ZK von Syriza. Der hier wiedergegebene Text stellt eine gekürzte und leicht aktualisierte Fassung eines Artikels von K. Notopoulou dar, der im Herbst 2014 in der Griechenland-Sonderausgabe der Zeitschrift des Vereins demokratischen Ärztinnen und Ärzte erstmals veröffentlicht wurde. Titel der äußerst informativen Broschüre mit 44 Seiten: „Austerität – tödliche Medizin für Griechenlands Gesundheitssektor“. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Nadja Rakowitz. Bestellmöglichkeit über die Website des Vereins: www.vdaeae.de

[1] EOPYY ist der Einheitliche Träger für Gesundheitsleistungen des öffentlichen Gesundheitssystems in Griechenland.

[2] Unter der Samaras-Regierung kam es, nach einem Monat massivem sozialen und politischen Druck – dazu, dass formal der Ausschluss von Unversicherten aus dem öffentlichen Gesundheitssystem beendet wurde. Dies war ein wichtiger positiver Schritt, der der solidarischen Bewegung im Gesundheitswesen geschuldet war. Das Hauptproblem war jedoch: Es gab dafür keine zusätzlichen Gelder. Die tägliche Situation wurde für die Menschen schlimmer und schlimmer.