Norman Paech [1999]; abgedruckt in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 3, Juni 2015

Wenn von Massenverbrechen der deutschen Wehrmacht die Rede ist, fallen die Namen Lidice, Oradour, Babi Jar – kaum andere. Die Orte Kragujevac in Serbien, Kortelisy in der Ukraine oder Distomo, Kalavrita, Kandanos, Klissoura und Kommeno werden nicht einmal in der „Enzyklopädie des Holocaust“ erwähnt – und dabei sind sie nur Einzelbeispiele zahlloser Orte in Ost- und Südosteuropa mit vergleichbaren Kriegsverbrechen. An der Quellenlage liegt diese Unkenntnis nicht. Einer der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, der Fall 7 gegen die „Südost-Generale“, handelte überwiegend von den Morden an Geiseln und „Sühne- und Vergeltungsmaßnahmen“ an Partisanen auf dem Balkan. Doch die Geschichte dieser Verbrechen unterlag den gleichen Verdrängungs- und Legendenbildungsprozessen, dem die ganze Geschichte der Wehrmachtsverbrechen ausgeliefert wurde und an dem die deutsche Nachkriegsjustiz entscheidenden Anteil hatte.

Trotz Hunderten von Ermittlungsverfahren wurde wegen Kriegsverbrechen in Griechenland nur ein Hauptverfahren vor dem Landgericht Augsburg eröffnet. Es ging um die Erschießung von sechs Zivilisten auf Kreta. Das Gericht übernahm den Standpunkt der Wehrmacht, „dass mit dem Begriff Partisanen […] alle Zivilpersonen im besetzten Gebiet verstanden wurden, welche der Begehung feindseliger Akte […] auch nur in etwa verdächtig waren.“. Damit qualifizierte das Landgericht diese Hinrichtungen als „völkerrechtliche Notwehr“ und sprach den Hauptmann frei.

Diese Argumentation war dafür verantwortlich, dass die anderen Ermittlungsverfahren sämtlich eingestellt wurden. Die Staatsanwaltschaft Bochum begründete die Einstellung gegen einen Kampfgruppenführer, der an einem der größten Massaker in Griechenland, dem „Unternehmen Kalavrita“, beteiligt war, mit der Notwendigkeit derartiger Repressalien. Diese seien „zulässige völkerrechtsmäßige Mittel gewesen, die […] Partisanen zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen“.

Die Rechtfertigung derartiger Massenverbrechen an der Zivilbevölkerung als „völkerrechtsmäßige Repressalie“ spielt auch heute eine Rolle bei der Weigerung der Bundesregierung, mit der griechischen Regierung überhaupt in einen Dialog über Wiedergutmachungsforderungen einzutreten.

Norman Paech ist emeritierter Professor und Politiker. Die FCH-Redaktion entnahm diesen obigen Text aus den Anfangszeilen eines umfangreichen Artikel, den der N. Paech in der Zeitschrift „Kritische Justiz“ 1999 (Heft 3, S.380ff) veröffentlichte. Ebenso traurig wie verblüffend: An der Situation hat sich seit 16 Jahre wenig verändert.