Aus: FaktenCheck:HELLAS Nr. 3, Juni 2015
Wenn in Deutschland das Thema „deutsche Verbrechen in Griechenland in der NS-Zeit“ angesprochen wird, dann gibt es an deutschen Stammtischen und in den deutschen Medien – die hier oft Stammtisch-Niveau haben – oft ausgesprochen aggressive Antworten. Selbst der SPD-Parteivorsitzende und deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte dazu, eine Forderung nach Reparationen sei „ehrlich gesagt dumm“. FaktenCheck:HELLAS veröffentlicht in dieser Ausgabe Nr. 3 eine Karte zur Dokumentation der Zerstörungen, die die deutsche Besatzungsmacht in Griechenland anrichtete. Wir antworten im Folgenden auf die Standard-Behauptungen, die an Stammtischen und anderswo beim Thema deutsche Reparationen für Griechenland und Entschädigungszahlungen für NS-Verbrechen vorgebracht werden.
Behauptung: Die Vorkommnisse in Griechenland im Zweiten Weltkrieg waren typische Begleiterscheinungen eines Krieges – bedauerlich, aber normal.
Antwort FaktenCheck:HELLAS (FCH): Das ist eindeutig falsch. Die NS-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg sind einmalig und nicht zu vergleichen mit „klassischen“ Vorkommnissen in Kriegen. Es wurde systematisch gegen geltendes internationales Recht verstoßen (Haager Landkriegsordnung; Genfer Konventionen). Es gab keine vergleichbaren Verbrechen auf der Seite der Gegner des NS-Regimes. Es gab sie im Zweiten Weltkrieg in Ansätzen bei Japan, der mit dem NS-Regime verbündeten Achsenmacht. Was jedoch die Anklage gegenüber Deutschland nicht relativiert.
Behauptung: All diese Vorkommnisse sind doch längst verjährt.
Antwort FCH Es gibt – zu Recht – keine Verjährung von Völkermord und keine Verjährung bei Verbrechen gegen die Menschheit.[1] Im Mai 2015 gab es in den Niederlanden eine Aufsehen erregende Entscheidung. Ein Gericht in Den Haag anerkannte die Entschädigungsansprüche von Hinterbliebenen von Freiheitskämpfern, die in den Jahren 1946 bis 1949 von der damaligen Kolonialmacht Holland im heutigen Indonesien ermordet worden waren. In jüngerer Zeit gab es mehrere Verfahren vor deutschen Gerichten, bei denen NS-Täter aus den Jahren 1940 bis 1945 zur Rechenschaft gezogen wurden. Man muss zurück fragen: Wie kann es sein, dass es in Deutschland 70 Jahre lang <I>versäumt wurde<I>, diese Verbrechen gegen die Menschheit aufzuarbeiten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen?
Behauptung: Deutschland hat längst für die NS-Vergangenheit Schadenersetz und Reparationen gezahlt. Auch an Griechenland flossen ausreichend Gelder.
Antwort FCH: Das trifft nicht zu. Deutschland hätte auf Basis der Inter-Alliierten Reparationskonferenz, die zur Jahreswende 1945/46 in Paris stattfand, eine große Summe an Reparationen an Griechenland bezahlen müssen. Die griechische Seite unterstrich dort ihre Forderungen u.a. mit dem Dokument, das FCH in dieser Ausgabe auf Seite 8 veröffentlicht. Bezahlt wurde ein Bruchteil der ermittelten Summe; der größte Betrag mit 115 Millionen DM floss im Jahr 1961. Diese Zahlung stand in einem fatalen Zusammenhang: Der Cheforganisator der Deportation griechischer Juden in die Vernichtungslager, Max Merten, der in Griechenland zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, wurde faktisch auf diese Weise von der Bonner Regierung freigepresst. Im Februar 1953 schloss die BRD mit den Westmächten (USA, Großbritannien und Frankreich) das Londoner Schuldenabkommen. In diesem wurde die Reparationsfrage ausdrücklich auf einen späteren Friedensvertrag, den es nach einer Wiedervereinigung geben sollte, vertagt. Als es 1990 – unerwarteter Weise –zur Wiedervereinigung kam, wurde bewusst kein Friedensvertrag geschlossen. Die deutsche Regierung erklärte seither einseitig, das Thema Reparationen sei „verjährt“. Griechenland hat dieser Position nie zugestimmt. (Siehe ausführlich in FCH01, S.4/5).
Behauptung: Wenn man im Fall Griechenland nachgibt, dann könnten ja noch viele andere Länder kommen…
Antwort FCH: Eine berechtigte Feststellung. Nazi-Deutschland hatte den größten Teil von Europa besetzt. Daraus resultierten umfangreiche Reparationsforderungen. Einige Länder erhielten einen Teil ihrer Reparationsforderungen erstattet, also einen Ausgleich für die durch den Krieg angerichteten Schäden. Frankreich z.B. in Form von Reparationen in Südwestdeutschland und im Saargebiet. Die Sowjetunion und Polen durch Reparationsleistungen in der DDR. In einigen Fällen gab es vertragliche abschließende Regelungen, die als verbindlich angesehen werden können. Keine verbindlichen Regelungen gab es in der Regel beim Thema Entschädigungen für NS-Verbrechen. So brutal das Vorgehen des NS-Regimes in Griechenland war – es war nochmals brutaler in Polen, in Weißrussland (Bjelorussland) und in der gesamten Sowjetunion. Am aggressivsten agierte Hitler-Deutschland überall gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Übrigens auch in Griechenland. Siehe die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Thessaloniki (siehe S.7). Die Feststellung, dass das Thema Entschädigung für NS-Verbrechen und Reparationen in mehreren Ländern Europas nicht endgültig geklärt ist, kann allerdings nicht eine Position rechtfertigen, wonach solche Verbrechen in Griechenland nicht thematisiert werden dürften.
Behauptung: Die griechische Regierung will mit ihren Forderungen nur ihre Schulden mit den behaupteten Reparationen „verrechnen“.
Antwort FCH: Das ist unwahr. Die offiziellen Äußerungen der griechischen Regierung weisen in eine andere Richtung. Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias erklärte im Mai in einem ausführlichen Interview in der Süddeutschen Zeitung, dass es nicht um konkrete Geldforderungen gehen würde. Er regte vielmehr an, einen „Rat der Weisen“ einzurichten, besetzt mit deutschen und griechischen Persönlichkeiten, um dieses Thema endgültig und in einem fairen Austausch einer Klärung zuzuführen. Es geht den Griechinnen und Griechen in erster Linie darum, dass die Bundesregierung diese Schuld moralisch anerkennt. Der deutsche Außenminister Steinmeier hat auch diesen versöhnlichen Vorschlag brüsk abgewiesen.
Behauptung: Aber warum kommen die Griechen denn ausgerechnet JETZT mit diesen Forderungen?
Antwort FCH: Zunächst ist es unwahr, dass Athen „jetzt“ damit kommen würde. Verschiedene griechische Regierungen haben dieses Thema immer wieder angesprochen. Auch die Vorgängerregierung unter Samaras erhob die Forderung nach Reparationen. Unter ihr wurde der Ausschuss des griechischen Parlaments eingerichtet, dessen Ergebnisse in den letzten Wochen publik wurden. Dennoch gibt es selbstverständlich einen Grund, warum dieses Thema seit Anfang 2015 in besonderer Heftigkeit debattiert wird. Dieser Grund hat mit der Haltung der deutschen Regierung gegenüber der neu gewählten griechischen Regierung im Allgemeinen und in der Frage der griechischen Schulden im Besonderen zu tun. Deutschland tritt in dieser Situation besonders unnachgiebig auf. Schäuble wirkt geradezu unbarmherzig und zynisch – und als Einpeitscher bei der harten Linie in der EU und beim IWF. Es ist absolut nachvollziehbar, dass die Menschen in Griechenland vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit erbittert sind über die Haltung der deutschen Regierung und über diese Arroganz der Macht – und dass viele hier eine Kontinuität sehen.
[1] Die im Deutschen verwandte Bezeichnung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist problematisch, wenn nicht verniedlichend. Im Angelsächsischen heißt es zu Recht „Crimes against humanity – Verbrechen gegen die Menschheit“. Es geht bei dieser Form von Schwerstkriminalität nicht um ein Mehr oder Weniger an „Menschlichkeit“, was an „Menschenfreundlichkeit“ erinnert, sondern um Verbrechen gegen die Menschen schlechthin, gegen die Menschheit.