von Winfried Wolf, am 2. Juli 2015 erschienen in der griechischen Zeitung EFSYN („Zeitung der Redakteure“)
Wer sich in Deutschland über die Medien ein Bild von Griechenland macht, der gewinnt einen verheerenden Eindruck von dem Land und seiner Regierung. (Und wo anders als in den Medien sollte sich ein Durchschnittsbürger informieren können?) Das Boulevard-Blatt „Bild“ schlagzeilt am Mittwoch: „Nach dem Finanz-GAU: Wut und Frust in Athen“. Tags zuvor wird im selben Kampf-Blatt die „Eiserne Kanzlerin“ gefeiert: „Merkel: Keine Chance für Last-Minute-Einigung“. Ähnlich das in Berlin führende Boulevard-Blatt „BZ“, bei der am Dienstag die Schlagzeile auf Seite lautet „HELLAS WAHNSINN“, was an „Heller“ (oder absoluter) Wahnsinn“ erinnern soll. Auch hier lesen sich die ergänzenden Zeilen so, als gebe es demnächst in Athen einen Bürgerkrieg: „Rentner verzweifelt – Banken geschlossen – Hamster-Käufe.“ Und dann immer wieder das Motiv von SYRIZA und Tsipras als eine Truppe von Hasardeuren und Spielern: „Doch die Regierung zockt weiter“.
Auch in Blättern, die als Qualitäts-Medien gelten, herrscht in der Regel ein vergleichbarer Ton, der von Verachtung für die griechische Regierung und von Herrenmenschentum zeugt. So schreibt Brigitte Fehrle in der „Berliner Zeitung“ (29.6.): „Erpressung ist fast schon ein zu schwaches Wort für das, was …“ ich erwarte an dieser Stelle eigentlich als Fortsetzung des Satzes und in dieser Zeitung: „… was die EU im Fall Griechenland betreibt.“ Doch der Artikel geht weiter wie folgt: „… was der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras den Europäern zumutet. […] Tsipras befindet sich offenbar im Krieg mit Europa.“ Hier ist bereits der Europabegriff bemerkenswert. Griechenland als uneuropäisches Gebilde.
Hohn und Siegesgewissheit ist in vielen Kommentaren vorzufinden. In der „Süddeutschen Zeitung“, der größten der seriösen Tageszeitungen, fand sich am 29.6. das bekannte Bild, das Varoufakis am vergangenen Montag im Parlament zeigt, umringt von Syriza-Parlamentariern. Dazu dann die höhnische Bildunterschrift: „Märchenstunde? Vielleicht erklärt er [Varufakis; W.W.] gerade seinen Parteifreunde, wie er sich das so vorstellt mit dem Geld, den Griechen und der EU…“
Die wichtigste bürgerliche Tageszeitung, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ transportiert am 29.6. bereits in der Überschrift des Leitartikels den Hohn mit; sie lautet: „Vom Grexit zum Alexit“. Der Rücktritt des griechischen Ministerpräsidenten wird vorweggenommen. In dem Artikel, wohlgemerkt auf Seite 1, heißt es dann: „Niemand kann jetzt noch glauben, dass mit Tsipras und seinen Gesellen ein Staat zu machen ist. Jedenfalls können sie das Loch, das sie Haushalt nennen, nicht stopfen, weil sie es nicht stopfen wollen.“ Die Formulierung „Tsipras und seine Gesellen…“ ist echte Gossensprache; so redet man über Bankräuber oder Geiselnehmer. Das wird nur noch übertroffen von der Formulierung des CDU-CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder: „Das sollte sich das freche Bürschchen Tsipras mal hinter die Ohren schreiben: Rotzfrech auftreten und dabei die Hausaufgaben nicht machen, das geht gar nicht.“ (Wiedergegeben in: „Tagesspiegel“ vom 13.6.). Rein formal ist das die Sprache, die vor 100 Jahren ein Schullehrer gegenüber einem mißratenen Schüler wählte. Es gab auch schon Leute von Attac (Deutschland), die argumentierten, das sei die offene Nazi-Sprache. Demgegenüber zuckt man bereits fast müde mit den Achseln, wenn der Kommentator in den TV-Nachrichten „ZDF-Heute“ (29.6.) formuliert: „Die Fragestellung [des Referendum] versteht man bereits in Athen kaum. Erst recht versteht das kein Bauer im Hinterland.“
Demokratie? Vielleicht als Großzügigkeit der Herrschenden, wenn sie denn den eigenen Interessen nicht schadet. So heißt es im Kommentar in diesem Blatt (BZ): „Es zeugt von Großzügigkeit und gutem Willen, dass die EU-Kommission überhaupt bereit ist, das Referendum anzuerkennen.“ Dieses Verhältnis zur Demokratie hatte im übrigen EU-Kommissionspräsident Juncker bereits vor drei Wochen wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Ich glaube nicht, dass ein Referendum die Gefühlslage des Deutschen Bundestags beeindrucken kann.“
Es ist offensichtlich: Es gibt beim Thema Griechenland eine Gleichschaltung bei den deutschen Medien. Ob diese organisiert wird, oder ob es „nur“ die Schere in den Köpfen der Schreiber und Sprecher ist, sei dahin gestellt. Irgendeine Art Drahtzieherei ist ab und an jedoch schon dabei. Das konnte man bei der SPD recht gut verfolgen. Direkt nach der Ankündigung eines Referendums durch Tsipras äußerte sich der SPD-Parteivorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel durchaus offen gegenüber dem Projekt. Im staatlichen Rundfunksender „Deutschlandfunk“ äußerte er: „Man ist jetzt klug beraten, jetzt diesen Vorschlag von Herrn Tsipras nicht einfach so beiseite zu tun und zu sagen, das sei alles ein Trick.“ Doch genau dazu erklärt derselbe Mann das Ganze keine 24 Stunden später. Er sei „entsetzt, dass Griechenland ein sehr weitreichendes Angebot abgelehnt hat.“
Auf der (internen!) Fraktionssitzung der SPD darf dann die CDU-Kanzlerin Merkel die Situation erklären – ein ziemlich ungewöhnliches Vorgehen. Diejenigen, die in der SPD aktuell etwas zu sagen haben, waren danach durch das Guo Gabriel-Merkel auf Linie gebracht. Die Regierung Tsipras sei schlicht „keine zurechnungsfähige Regierung mehr“, so z.B. Carsten Schneider, der haushaltspolitische Sprecher der SPD. Doch ausgerechnet der frühere Finanzminister in der Großen Koalition CDU/CSU und SPD aus der Amtsperiode 2005 bis 2009, Peer Steinbrück, meldete sich dann in derselben SPD-Fraktionssitzung „zur Überraschung aller“, wie es in der „Süddeutschen Zeitung“ (30.6.) heißt – und konstatierte: „Also ohne einen Schuldenschnitt wird sich Griechenland nie mehr erholen.“
Dumm nur, dass dagegen Zweierlei vorzubringen ist: Erstens dass Steinbrück nichts mehr zu sagen hat. Und zweitens, dass die Herrschenden – einschließlich der herrschenden Sozialdemokaten – gar nicht wollen, dass sich Griechenland „erholt“.