Aus: FaktenCheck:HELLAS Nr. 3, Juni 2015

Das Sprichwort trifft zu auf die Aufgeregten, die dem griechischen Finanzminister Janis Varoufakis vorwarfen, er habe bei einem Eurogruppen-Treffen in Riga heimlich eine Tonaufnahme mit seinem Smartphone vorgenommen. „Unverschämt! Eine Zumutung!“, so schäumte die Tageszeitung Die Welt am 22. Mai. Das Handelsblatt titelte, kaum höflicher, am selben Tag: „Der unmögliche Minister“. Ein Vertreter der deutschen Regierung ließ sich zitieren mit: „Ein absolutes Unding.“

Berichtete Varoufakis über die Sitzung? Zitierte er Kollegen? Brach er die „Vertraulichkeit“, die laut Eurogruppen-Chef Dijsselbloem „Grundlage all dieser Treffen“ sei? Nichts von all dem. Das Gegenteil war der Fall. Umgekehrt plauderten mehrere Teilnehmer anderer Eurostaaten – so die Finanzminister aus Slowenien, aus der Slowakei und aus Österreich – nach dem Treffen ungehemmt tatsächliche oder reale Interna über das Treffen in Riga aus. Und alle waren sie gegen Varoufakis gerichtet. Dieser sei dort als „Amateur“, „Spieler“ oder als „Zeitverschwender“ bezeichnet worden. Der Vorgang an sich mag unwichtig sein. Ein kompletter Mitschnitt des Treffens dürfte im demokratischen, öffentlichen Interesse liegen. Doch die Art, wie die Mainstream-Medien mit neuem Griechen-Bashing reagieren, ist typisch für den Umgang der EU mit Griechenland.

Update vom 3. Juni 2015: Ausgabe 3 ist fertig – Ansichtsexemplar hier

Am 3. Juni geht Nr. 3 der Anfang April gegründeten Zeitschrift FaktenCheck:HELLAS (FCH) in den Vertrieb. Aktuell spitzt sich die Lage in Griechenland neu zu: Schäuble (BRD), Juncker (EU) und Lagarde (IWF) fordern von der Athener Regierung die Verschärfung eines Austeritätskurses, der vier Jahre lang grandios scheiterte. Tatsache ist: Die von den Kreditgebern geforderten Zahlungen für Juni/Juli sind für Griechenland nicht mehr aus eigenen Mitteln finanzierbar. Das Diktat lautet: Kapitulation oder Staatspleite. Die brutale Politik von EU und IWF zielt in Wirklichkeit auf die gesamte EU-Bevölkerung: Millionen Menschen hoffen, dass sich der Neubeginn in Griechenland zu einem demokratischen und sozialen Aufbruch in ganz Europa entwickelt. Diese Hoffnung wollen Schäuble, Juncker & Lagarde ersticken. Wir halten dagegen – mit den folgenden Themen in FCH03: Weiterlesen

Die zweite Ausgabe von FCH – mit der Erstauflage von 40.000 Ex. – ist seit gestern vergriffen, die Reserven sind versiegt. Eine zweite Auflage macht jetzt allerdings nur dann Sinn, wenn wir bis Ende dieser Woche noch auf ca. 5000 neue und nicht erledigte Bestellungen kommen. Alle, die in den nächsten zwei Wochen noch Bedarf an FCH02 haben, sollten unbedingt entsprechende Bestellungen JETZT tätigen. Dann können wir in den nächsten 4-5 Tagen entscheiden, ob wir eine Nachauflage in Angriff nehmen. Ansonsten vertrösten wir auf die dritte Ausgabe von FaktenCheck:HELLAS, die voraussichtlich ab dem 2. Juni 2015 in den Vertrieb gehen wird.

Aus: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Am 24. April fand in Riga beim Treffen der Finanzminister der Eurozone ein Scherbengericht statt. Achtzehn Finanzminister hetzten gegen den Griechen. Varoufakis sei „Amateur“, „Spieler“, „Zeitverschwender“. Und immer wieder, wie in einer Art Theater-Chor, die Rufe: „Wo ist die Liste?!“ „Wo sind die Reformen?!“ Europaweit wird in fast allen Medien derselbe Chor von Riga angestimmt: „Der Grieche muss liefern“ – „Die Liste!“ – „Die Griechen“ sind „nicht bereit zu Reformen“.

Zur gleichen Zeit gibt es in Griechenland einen zweigleisigen Prozess. Auf der einen Seite fasst das Parlament mit seiner neuen Mehrheit sinnvolle und ermutigende Beschlüsse, die Grundlage für einen sozialen und demokratischen Neubeginn sein könnten. Auf der anderen Seite werden bereits jetzt alle Finanzmittel zusammengekratzt, um elementare Funktionen von Wirtschaft und Gesellschaft am Leben zu erhalten – selbst die ausgebluteten Kommunen werden auf problematische Weise genötigt, die letzten Geldreserven dem Zentralstaat zu übergeben. Dabei ist klar: Bleibt es bei der Blockade durch die Eurozone, dann geht es nur noch um das Hinauszögern des Staatsbankrotts. Eigenständig kann Griechenland den Sommer 2015 nicht überleben; allein in den Monaten Mai bis August muss das Land 11,6 Milliarden Euro an seine internationalen Gläubiger zahlen – ein Ding der Unmöglichkeit. Weiterlesen

Sebastian Gerhardt in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Mitte Februar 2015, auf dem Höhepunkt des aktuellen Tauziehens um die Politik der Eurogruppe gegenüber Griechenland, legten vier der fünf Mitglieder des deutschen „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ eine politische Stellungnahme vor. Ihre Botschaft: Ein Grexit ist machbar. Die Professoren Lars Feld, Christoph Schmidt, Isabel Schnabel und Volker Wieland wie der Generalsekretär des Rates, Benjamin Weigert zeigen sich sicher: „Im Jahr 2010 wäre ein Grexit, also ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Raum und die Neueinführung einer nationalen Währung, mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Ansteckungseffekten auf die internationalen Finanzmärkte verbunden gewesen, welche die anderen Mitgliedstaaten erheblich in Mitleidenschaft gezogen hätten. … Heute stellen sich die Umstände allerdings ganz anders dar.“ Nur Peter Bofinger als der letzte der Mohikaner, pardon: Keynesianer, schloss sich von dieser gemeinsamen Stellungnahme seiner Kollegen aus.

Im Herbst 2011 hatte der damalige, kaum weniger neoliberale Sachverständigenrat noch eine andere Position eingenommen: Weiterlesen

Wolfgang Räschke in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Aufruf „Griechenland nach der Wahl – Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa“, der von allen Gewerkschaftsvorsitzenden und von den Vorständen der Gewerkschaften unterzeichnet wurde, macht noch einmal die Position und die Kritik der Gewerkschaften deutlich, dass die entscheidenden Bedingungen, unter denen die finanzielle Hilfen für Griechenland gewährt wurden, von Anfang an nicht die Bezeichnung „Reform“ verdient hatten. Die Milliarden, die nach Griechenland geflossen sind, wurden vor allem für die Stabilisierung des Finanzsektors verwendet, die kamen gar nicht bei den Menschen an. Die Banken wurden mit dem Sparpaket gerettet, aber nicht die Menschen.

Die Bruttoeinkommen der privaten Haushalte in Griechenland sind von 2008 bis 2012 um ein knappes Viertel gesunken und für fast die Hälfte des Rückgangs sind Lohnkürzungen verantwortlich. Bei der unteren Einkommenshälfte stieg die Steuerlast im Verlauf der Krise um 337 Prozent. Bei der oberen Hälfte nahm sie dagegen um nur 9 Prozent zu. Insgesamt hat 2012 fast jeder dritte griechische Haushalt mit einem Jahreseinkommen von weniger als 7000 Euro auskommen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, überprüft das mal für Euch selber. Weiterlesen

Ein spontaner persönlicher Brief an meine FreundInnen  in Deutschland

Der „persönliche Brief“ von Dorothee Vakalis erschien in FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015, in deutlich gekürter Form. Nachfolgend die ungekürzte Fassung:

 

Ihr Lieben,

Einige  von Euch  fragen mich, wie es mir als  Frau mit einem deutschen Pass zur Zeit  in Griechenland so gehe. „Musst du als Deutsche viel von dem Hass der Griechen auf die Deutschen einstecken? Müssen wir uns Sorgen um Dich machen? Kann man noch nach Griechenland reisen?“  Vielleicht sollte ich  Euch etwas von meinem Leben in Griechenland erzählen – von einem Leben als Auswanderin, als deutschsprachige Heiratsmigrantin seit 40 Jahren…. Eine unter 50.000 oder mehr in diesem Land.  Ja, es war in den letzten 40 Jahren noch nie so schlimm, so verhärtet zwischen unseren beiden Ländern wie zur Zeit. Immer wieder gab es mal Spannungen, damals im Kosovo-Krieg, als viele deutsche Frauen in Thessaloniki sich in einem Brief gegen die Invasion der Nato wendeten und so zwischen zwei Stühlen saßen, als die „Bild“-Zeitung und andere anfingen, zu Beginn der Krise  von den faulen und gierigen Griechen zu schreiben (übrigens, diese Bilder wurden nach einer langen philhellenischen Phase erstmals  von den Nazi verbreitet, nachdem sie den Widerstand der Griechen während der Besatzung zu spüren bekamen). Weiterlesen

Harald Weinberg in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Seit 2012 ist das deutsche Gesundheitsministerium (BMG) – von vielen unbemerkt – offizieller „Domain Leader“ für Strukturreformen im griechischen Gesundheitssystem. Das gesundheitspolitische Memorandum of Understanding (MoU) wurde im April 2012 zwischen dem griechischen Gesundheitsministerium, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der von der Europäischen Kommission eingesetzten Task-Force Griechenland unterzeichnet. Hierin wurden drei zentrale Bereiche benannt, in denen grundlegende Veränderungen erreicht werden sollen: Arzneimittelpolitik, die Einführung von Fallpauschalen in der stationären Versorgung und die Organisation des neu geschaffenen Krankenversicherungsträgers EOPYY.

Es gehe jetzt darum, die „Chancen im Interesse der Patienten zu nutzen“, erklärte der damalige Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) anlässlich der Unterzeichnung des „Memorandum of Understanding (MoU) im April 2012.(1) Wie ernst es dem BMG mit den „Interessen der Patienten“ ist, lässt sich leicht an seinen Aktivitäten nachvollziehen: Weiterlesen

Mag Wompel in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

VIOME ist eine Fabrik in Thessaloniki, die Baustoffe herstellte und im Mai 2011 von ihren Besitzern verlassen wurde. Die zweiundzwanzig Arbeiterinnen und Arbeiter, die über ein Jahr lang ohne Lohn waren, haben sie in der Folge besetzt. Nachdem Interventionen bei den Ministerien erfolglos geblieben sind, haben sie beschlossen, die Fabrik in Selbstverwaltung unter Arbeiterkontrolle weiterzuführen – und von nun an Bioputzmittel herzustellen.

Aktuell steht der Kampf um VIOME wieder einmal an einem Wendepunkt. Weiterlesen

Nadja Rakowitz in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte hat in den Jahren 2013 und 2014 jeweils eine Delegationsreise nach Athen und Thessaloniki organisiert. Wir wollten uns ein Bild von den Auswirkungen der Austeritätspolitik auf das Gesundheitswesen machen, mit Menschen aus solidarischen Initiativen sprechen und die Möglichkeiten konkreter praktischer Solidarität ausloten. Neben den erschütternden Begegnungen mit Patientinnen und Patienten und z.T. inhaftierten Flüchtlingen und Gesprächen mit verzweifelten Krankenhaus-Beschäftigten war und ist das am meisten Beeindruckende – und weit über die Gesundheitspolitik hinausgehende – die Bewegung der solidarischen Praxen. Weiterlesen