[aus: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015]
Medien-Argumente zu Griechenland –FaktenCheck:HELLAS-Antworten zum Thema: „Reiche Griechen – mit Steuerfreiheit“
Ein Standardargument derjenigen, die die neue griechische Regierung kritisieren, lautet: Die treiben doch nicht das Geld bei den reichen Griechen ein! Was ist mit den griechischen Reedern? Warum fangen die nicht an, vor der eigenen Tür zu kehren; warum wird da ganz im altgriechischen Sinn nicht endlich mal „der Augias-Stall ausgemistet“. FaktenCheck:HELLAS stellt diese geläufigen Argumente vor und liefert Antworten.
Argument 1: Kaum war die neue Regierung in Athen gewählt, da wussten deutsche Politiker, was von dieser zu fordern sei. Wolfgang Bosbach, CDU-MdB, erklärte, er habe Ende Februar mit „Nein“ bei der Abstimmung zur Freigabe von Geldern für Griechenland gestimmt (Gelder, die dann bis heute gar nicht flossen). Bosbach als Begründung in Bild vom 28. Februar 2015: „Die Probleme Griechenlands sind […] Resultat der fehlenden Bereitschaft reicher Griechen, ihre Steuerpflichten zu erfüllen.“ Der Tenor lautet: Griechenlands Reiche müssten zahlen.
FaktenCheck:Hellas Das ist grundsätzliche eine richtige Idee. Sie wird so auch von der neuen griechischen Regierung geteilt. Teilweise hat dies auch bereits Konsequenzen – Ende April wurde Griechenlands prominentester Bauunternehmer, Leonidas Bobolas, kurzzeitig wegen Steuerschulden verhaftet; er zahlte dann auch 1,8 Millionen Euro. Grundsätzlich stellt sich aber doch die Frage: Warum wird diese Forderung von einer neuen linken Regierung derart vehement gefordert. Die EU und die Troika, die in den vergangenen gut vier Jahren in Griechenland maßgeblich die Politik bestimmten und die eng mit den Vorgängerregierungen unter Papandreou, Papademos und Samaras verbunden waren, hatte ausreichend Zeit, auf die Einlösung dieser Forderung zu dringen.
Argument 2 Die reichen Reeder sind steuerbefreit – wie kann das sein? Nochmals Wolfgang Bosbach: Es sei „die souveräne Entscheidung des griechischen Staates, wenn er seine Reeder nahezu komplett von der Steuerpflicht befreit. Allerdings darf Griechenland dann nicht erwarten, dass die Steuerzahler der Eurozone die dadurch Jahr für Jahr entstehenden Einnahmeausfälle in Millionenhöhe kompensieren.“ (Focus.de vom 3. Februar 2015).
FaktenCheck:HELLAS Richtig ist, dass der größte Teil der griechischen Reeder kaum Steuern zahlt – weder in Griechenland noch anderswo. Der Grund ist ein doppelter: Erstens ist die Steuerfreiheit bei Investitionen in die Schifffahrt in der griechischen Verfassung verankert. Zweitens gehören den griechischen Reedern zwar knapp 4000 Schiffe, doch nur rund 800 fahren unter griechischer Flagge.
Nachfrage zu Argument 2 Doch diese Steuerfreiheit für die Schifffahrt ist doch ein Skandal, der beseitigt werden muss!?
FaktenCheck:HELLAS: Volle Zustimmung. Doch der Skandal hat eine lange Geschichte, die man verstehen muss. Die griechische Gesetzgebung mit einer weitreichenden Steuerfreiheit für Schifffahrt und Reederei wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Regierungen beschlossen, die vor allem unter US-amerikanischem Einfluss standen. 1957 wurde unter einer konservativen Regierung als einzige Besteuerung der Reeder die „Tonnagegewinnermittlung“, auch „Tonnagesteuer“, eingeführt. Mit dieser Art Steuer wird der Gewinn faktisch nach Schiffsgrößen geschätzt – und damit dramatisch unterschätzt. 1967 wurde die weitgehende Steuerbefreiung der Reeder in die Verfassung aufgenommen. Damals herrschte in Griechenland ein faschistisches Regime unter den Obristen Pattakos und Papadopoulos, das 1967 mit einem Putsch an die Macht kam. Dieser Putsch wiederum war von der Nato gesteuert (er wurde fast 1:1 durchgeführt nach dem Nato-Plan „Prometheus“). Als das Faschisten-Regime 1974 gestürzt wurde, wurde die Steuerbefreiung auch in die neue Verfassung des Jahres 1975 übernommen – damals regierte in Athen erneut eine konservative Regierung.
Diese rechten und konservativen Regierungen sind damit für die nunmehr viel kritisierte Steuerfreiheit der Reeder verantwortlich. Es ist nicht bekannt, dass diese Sonderrechte seitens der EWG/EG/EU oder der OECD oder dem IWF jemals im Zeitraum 1957 bis 2014 kritisiert worden wären.
Argument 3 Das hoch verschuldete Griechenland leistet sich damit ein Sondergesetz zur Begünstigung der Superreichen.
FaktenCheck:HELLAS Des handelt sich längst um eine allgemeine, internationale Gesetzgebung. Die gesamte weltweite Schifffahrt ist geprägt überwiegend von Steuerfreiheit, von ergänzenden Steuerspar-Modellen beim Schiffbau (bei den Werften), von anderen indirekten und direkten Subventionen für die Schifffahrt und von einem allgemeinen „Ausflaggen“ – dem Fahren der Tanker und der Handels- und Container-Schiffe unter Flaggen, deren Staaten keine oder so gut wie keine Steuern verlangen. Das hat aus Sicht der weltweit agierenden Konzerne und Banken gute Gründe. Die auf derlei Art vielfach subventionierte Schifffahrt trägt dazu bei, dass die weltweiten Transportkosten extrem niedrig sind. Dies ist ein Motor der Globalisierung und der Beschleunigung des Welthandels: Waren, die irgendwo auf der Welt – z.B. in Bangladesch oder China – günstig hergestellt wurden, sind nun überall auf der Welt zu ähnlich niedrigen Preisen wie im Herstellerland erhältlich. Der Grund: Die in ihnen steckenden Transportkosten sind extrem niedrig, während der größte Teil der realen Transportkosten von den Steuerzahlenden bezahlt wird. Das heißt auch: Auf diese Weise erleiden die jeweiligen regionalen Ökonomien, die Umwelt und das Klima enormen Schaden.
Auch Deutschland fördert seine Reeder und den Schiffbau. Am 31. Oktober 2012 war auf Spiegel.online zu lesen, die Schifffahrt werde „vielleicht nirgendwo so sehr protegiert wie in Deutschland“. Von den rund 3800 Schiffen deutscher Reeder schippern mehr als 3000 unter fremder Flagge, sind also in Steueroasen registriert. Die Tonnagesteuer wurde in Deutschland unter Rot-Grün, 1998, eingeführt. Der jährliche Steuerverlust, den der Fiskus mit der Tonnagesteuer erleidet, wird auf jährlich eine Milliarde Euro geschätzt.
Argument 4 Warum werden dann die privaten Einkommen der griechischen Reeder nicht besteuert?
FaktenCheck:HELLAS: Hier gibt es sicher „Nachholbedarf.“ Doch auch hier ist die Sachlage nicht so einfach. Viele griechische Reeder haben ihren Wohnsitz im Ausland gemeldet und/oder ihre Unternehmen im Ausland registriert. Sehr beliebt sind London und die britischen Virgin Islands. In diesen Tagen wird in Großbritannien über die „non dom-Milliardäre“ debattiert. 116.000 superreiche Ausländer haben einen britischen Pass und einen realen oder Scheinwohnsitz in Großbritannien. Sie sind „non domiciled“; der britische Fiskus kassiert von ihnen lediglich 90.000 Pfund im Jahr – für die Milliardäre ein Trinkgeld. Die non-dom-Regel ist ein spezifisches Steuerschlupfloch für Ultrareiche – darunter eine größere Zahl russische Oligarchen und griechische Reeder.
Argument 5 Und was ist mit den riesigen Griechen-Vermögen in der Schweiz? Die Welt am Sonntag berichtete am 15. März: „Varoufakis ist angetreten, die Elite des Landes zur Kasse zu bitten. Doch in Wirklichkeit lässt er sie in Ruhe. Auch die 800 Milliarden Euro griechischen Vermögens rührt er nicht an.“
FaktenCheck:HELLAS: Stimmt: 800 Milliarden Euro wären ein fetter Brocken. Bald darauf hieß es allerdings, das griechische Vermögen auf Schweizer Banken belaufe sich auf 80 Milliarden Euro, wovon aber nur ein Teil Schwarzgeld sei. Wie auch immer – die Süddeutsche Zeitung erzählt in ihrer Ausgabe vom 27. März die Geschichte anders und wie folgt: „Im Februar 2014 [also vor 14 Monaten!] schlug die schweizerische Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf ihrem damaligen griechischen Finanzministerkollegen vor, unversteuerte Gelder griechischer Bürger in der Schweiz zu suchen und nach Athen zu überweisen. Doch dann passierte lange nichts.“ Die konservative Regierung unter Samaras habe „die Gespräche [mit der Schweiz] nicht weiter verfolgt.“
Jetzt, im März 2015, habe sich die neue griechische Regierung gemeldet, um „die Gespräche über ein bilaterales Steuerabkommen wieder aufzunehmen“ und darüber zu verhandeln „wie die in der Schweiz gelagerten Vermögen nach Griechenland kommen könnten.“
Der Schwarze Peter liegt also auch hier bei der Vorgänger-Regierung in Athen, mit der doch Merkel, Hollande, Juncker und Schäuble ausgesprochen zufrieden waren. Vor allem läge es an der EU und allen Industriestaaten, grundsätzlich gegen Steueroasen vorzugehen. Und diese Oasen liegen ja nicht in Griechenland und sind keine griechischen Inseln, sondern sind EU-Staaten wie Luxemburg und Irland oder Inseln, die zu Großbritannien zählen, aber Sonderstatus haben – eben den von Steuerparadiesen, was ja für die normale Bevölkerung, die entsprechend mehr Steuern zahlen muss, heißt, Steuerhöllen. (Allein die folgenden Inseln gelten als Steueroasen und sind britisches Überseegebiet oder britischer Kronbesitz: Bermudas, Britische Jungferninseln, Kaimaninseln, Gibraltar, Montserrat, Turksinseln, Caicosinseln, Jersey, Guernsey und Isle of Man.)