Ein spontaner persönlicher Brief an meine FreundInnen in Deutschland
Der „persönliche Brief“ von Dorothee Vakalis erschien in FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015, in deutlich gekürter Form. Nachfolgend die ungekürzte Fassung:
Ihr Lieben,
Einige von Euch fragen mich, wie es mir als Frau mit einem deutschen Pass zur Zeit in Griechenland so gehe. „Musst du als Deutsche viel von dem Hass der Griechen auf die Deutschen einstecken? Müssen wir uns Sorgen um Dich machen? Kann man noch nach Griechenland reisen?“ Vielleicht sollte ich Euch etwas von meinem Leben in Griechenland erzählen – von einem Leben als Auswanderin, als deutschsprachige Heiratsmigrantin seit 40 Jahren…. Eine unter 50.000 oder mehr in diesem Land. Ja, es war in den letzten 40 Jahren noch nie so schlimm, so verhärtet zwischen unseren beiden Ländern wie zur Zeit. Immer wieder gab es mal Spannungen, damals im Kosovo-Krieg, als viele deutsche Frauen in Thessaloniki sich in einem Brief gegen die Invasion der Nato wendeten und so zwischen zwei Stühlen saßen, als die „Bild“-Zeitung und andere anfingen, zu Beginn der Krise von den faulen und gierigen Griechen zu schreiben (übrigens, diese Bilder wurden nach einer langen philhellenischen Phase erstmals von den Nazi verbreitet, nachdem sie den Widerstand der Griechen während der Besatzung zu spüren bekamen).
Viele von uns Frauen haben es erlebt, dass Eltern und FreundInnen unserer Heirat mit einem Griechen Schlimmes prophezeit hatten und ein General-Konsul sagte vor Jahren, als ich Fördergelder für interkulturelle Arbeit beantragte: „Die Frauen haben doch selbst schuld…..“ Auch in Griechenland hört man Stimmen: „Alle Deutschen haben den Faschismus im Blut“ oder „Hitler war ein Held“ … Und bei Ehestreitigkeiten heißt es dann schnell: deutsche Frauen sind kalt…. Das waren unterschwellige Stimmungen, wir Frauen mussten lernen, damit umzugehen und unser Leben in Griechenland zu verhandeln, zu vermitteln, zu übersetzen….. Manchen ist es gelungen, manche haben es nicht geschafft, viele haben Großes geleistet an Vermittlung und gegenseitigem Verstehen und unsere vielsprachigen Kinder und Enkelkinder tragen ein interkulturelle Erbe, diese Offenheit für das Fremde und die Fremden, mit sich….. Dass damit nach dem furchtbaren Krieg ein neuer Anfang zwischen unseren Ländern gemacht werden wird, dass wir alle in unseren binationalen Familien auf unsere Weise zum Frieden in Europa einen Beitrag leisten, das war bisher unsere Hoffnung…
Soll all das nun alles zerstört werden, woran wir geglaubt haben, was wir auch gelebt haben? Was heute an Stimmungsmache, an Häme da ist, hat einen anderen Grad erreicht. Es ist eine durch und durch asymmetrische Beziehung geworden, vor allem in der offiziellen Kommunikation. Antje Vollmer spricht von einer Sklaven- und Hundebesitzersprache, vn dem Oberlehrerverhalten vieler Deutscher… Denn heute geht es um knallharte, finanzielle Interessen. Um Unterordnung der Schuldner unter die Gläubiger. Damit haben wir nicht gerechnet. Geld regiert die Welt, „bei Geld hört die Geduld auf“… So schreibt gmx.portal heute morgen, am Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, über einem Foto von Herrn Schäuble.
Meine drei Freudinnen, die von Thessaloniki nach Berlin gezogen sind, erzählen mir, wie sie angegriffen werden, wenn sie von Griechenland erzählen, wie sie mit Vorwürfen und auch mit Falschmeldungen über „die Griechen“, die „über ihre Verhältnisse gelebt“ haben und nun „immer nur fordern und einklagen“, überhäuft werden. Dass sie die Nachrichten über Griechenland im Fernsehen und die leidigen Talk shows mit den immer gleichen Phrasen einfach nicht mehr aushalten. Warum wird so etwas nicht verboten? …. „Ich bin in Deutschland ganz krank geworden!“, sagte mir neulich eine von ihnen. Andere, die unsere Faktencheck:Hellas-Zeitung vorstellten, mussten auch was einstecken…. Und es gab noch unschönere Begebenheiten, die ich gar nicht erst weiterverbreiten möchte. Gut, dass es trotzdem „Die Anstalt“ gibt und einige nachdenkliche, warnende Stimmen im Lande.
Das ist heute eine Art von psychischer und Geld-Gewalt über andere Menschen und über andere Länder. Wie es bei jeder Gewalt angesagt ist, so haben wir es doch gelernt, muss ein striktes „NEIN, so geht es nicht!“ folgen. Da muss frau keine studierte Ökonomin sein, sie muss nur die Augen und Ohren öffnen, um sagen zu können:
- Nein, so geht es nicht, dass die humanitäre Krise in GR auf der Tagesordnung der Mächtigen gar nicht vorkommt
- dass die 1,5 Millionen Arbeitslosen und ihre Familien ohne jeglichen Versicherungsschutz und ohne Hoffnung auf eine Rente leben müssen, viele ohne Strom und Wasser in ihren Wohnungen – Mangelerscheinungen, Ausbruch von Malaria und anderen Krankeheiten sind die Folgen…
- dass die Alten ihre ohnehin gekürzten Renten mit den Jungen teilen müssen („Halb Griechenland hängt an den Renten der Alten!“), dass die Jungen in die Wohnungen und Häuser der Eltern zurückkehren…. auf allerengstem Raum…
- dass die Bestausgebildeten der jungen Leute – geplant! – ins Ausland geholt werden und Deutschland so die Lücken in der Versorgung schließen kann
- dass unzählige Flüchtlinge, die hier festgehalten werden müssen aufgrund der EU Verordnungen und die hier keinerlei staatliche Grund-Versorgung bekommen, noch von der ohnehin gebeutelten Bevölkerung mit versorgt werden …und in den Krankenhäusern an der Verwaltung vorbei von Ärzten und Schwestern behandelt werden…
- dass die sozialen Praxen der NGOs den Ansturm nicht bewältigen,
- dass Menschen, die seit Generationen gut für ihr Auskommen sorgen konnten als Handwerker, als Angestellte, als Selbständige, nun anstehen müssen bei den unzähligen Armenspeisungen der Kirchen und einiger Kommunen…(Ostern gab es in über 300 Kirchen Armenspeisungen)
- dass viele zu Hungerlöhnen arbeiten, (zwei Euro pro Stunde und weniger sind keine Seltenheit) – und damit nicht ihre Familien unterhalten können.
- dass Tausende junger Menschen (60%) ohne jede Hoffnung auf einen Arbeitsplatz in den Dörfern und Städten herumhängen und ihr Leben verpassen
Es soll mir später keine sagen: Das alles und noch viel mehr „haben wir ja nicht gewusst“!
„Griechenland ist selbst schuld an seinen Schulden – es liegt an den Griechen, den Staat und die Schulden in Ordnung zu bringen.“ Dies sagt Herr Schäuble. Wir, die wir hier im Land leben, wissen und erfahren am eigenen Leib, wie ineffektiv die Verwaltung des Staates oftmals ist, wie sehr damit Menschen auch belastet und verletzt werden, wenn man tagelang wegen irgendwelcher Papiere laufen und anstehen muss. Wir wissen, dass es auch hier Ausbeuter und korrupte Strukturen und Schmarotzer gibt zu Lasten des Allgemeinwohls, dass viele auf Pump und mit dem leichten Geld der EU Subventionen und der Börsen lebten. …. Aber warum fällt Herrn Schäuble das jetzt ein? Warum wurden die Regierungen der letzten Jahrzehnte nicht gezwungen, mehr Gerechtigkeit und soziale Teilhabe zu praktizieren? Warum wurde die grenzüberschreitende Korruption nicht gemeinsam verfolgt? Wieso wurde eine so brutale und angstverbreitende Wahlunterstützung gegeben für Samaras und Co? „Ohne Samaras keine Stabilität im Land!“ „Samaras oder Chaos“…..Dieser Samaras hätte schon längst diese letzte Tranche ohne wirkliche Reformen bekommen……was steckt dahinter, dass man dieser neuen jungen Regierung, die so superschnell in die Startlöcher gekommen ist, nicht zumindest eine aller-erste Chance einräumt, den Staat in Ordnung zu bringen und die humanitäre Krise zu lindern, und ihr dabei hilft, die Steuerhinterzieher und die Bestechungsgelder Verteilenden international zu fassen…??? Deutschland schickte den selbst im Auswärtigen Amt allseits bekannten Herrn Staatssekretär Fuchtel, der wie ein unbeholfener Provinz-Oberlehrer durch die griechischen Lande tourt, um die Verwaltung Griechenlands zu erneuern!
………hier in Griechenland kann ich überall diskutieren, im Bus, in den Geschäften der Nachbarschaft, bei Freunden und Kollegen und unter uns deutschsprachigen Frauen…….ich habe das Gefühl, dass wir die Ursachen der Krise beim Namen nennen können, dass es dabei um Strukturen der Ungerechtigkeit geht, Reiche gegen Arme, Kapitalismus pur, so einfach. „Die Reichen holen wie mit einem Staubsauger das Geld von den Armen.“ Vielleicht ist es das Einzige, was die neue Regierung bisher wirklich erreicht hat, dass ein breiter öffentlicher Diskurs geführt wird über die Finanz-Krise, die Schulden, die EU, den Euro. Viele fragen und informieren sich, sie wollen verstehen, wieso nun dieses Unglück über das Land hereingebrochen ist, von der Regierung und Fachleuten wie Eric Toussaint, Hagen FLeischer kommen dazu klare statements……und ich sehe, dass Menschen sich gegenseitig erzählen, wie sie versuchen, über die Runden zu kommen, einige schaffen es sogar, neue Wege zu gehen in NGOs, in Kooperativen, in Bewegungen gegen Privatisierung des Wassers, gegen die Goldschürfungen auf der schönen Touristenchalkidike, gegen Faschismus und Rassismus… wir ermutigen uns gegenseitig, nicht aufzugeben und zu widerstehen, wenn autoritäre Sturkturen sich wieder breit machen auch in den neuen Bewegungen……. unseren Humor zu pflegen, es gibt so tolle Karikaturen, so hintergründige Witze…..wie in DDR Zeiten….und doch bleibt diese riesengroße Angst vor der Zukunft! Vor der Zukunft unserer Kinder….das schnürt mir immer wieder den Hals zu und lässt mich nicht schlafen. Was konnte denn bisher gegen den massiven Widerstand überhaupt verändert werden!
Wenn Ihr verstehen wollt, was in unserer Welt in diesen Zeiten abläuft, dann kommt nach Griechenland, dann macht hier Urlaub, dann sprecht mit den Menschen und stellt eure Fragen. Besucht diese alternativen Geschäfte, Kooperativen von netten Cafes und gemütlichen Tavernen, bunte Tauschmärkte, soziale Bewegungen, soziale Kliniken, Bauernmärkte, Flüchtlingsinitiaven… ihr werdet sehen, wie gern Menschen mit Euch sprechen möchten, wie sehr sie sich über euer Interesse an ihrem Leben freuen….“Kommt, und seht und hört zu und bleibt stehen und informiert euch!“…..Ihr werdet es nicht bereuen. Mich, die Deutsche, sprechen fremde Menschen scherzend an, „du als Frau Merkel, wie siehst du die Sache?“ Und schon sind wir drin im Gespräch und ich erzähle, dass es auch in Deutschland viele Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen gibt, dass viele mit dem Lohn ihre Familien nicht unterhalten können, dass ich in Berlin der Armut der Menschen auf den Strassen begegnet bin….dass dieses brutale Wirtschaftsystem keine gute Zukunft hat, weder hier noch dort…neulich gab mir ein Ladenbesitzer 40% Rabatt…..nach unserem Disput! Und wenn es dann wirklich zu einem crash kommen sollte und die Banken schließen und keine Flugzeuge und Fähren gehen mehr, dann wird sicher jemand hier auch für Euch sorgen….
Ob solches Miteinander, ein erweitertes Bewusstsein etwas ändern wird an diesem hässlichen Gerede und an dieser Häme, und vor allem an diesem Ausbluten des Landes und der Menschen durch das mächtige Finanzkapital, das weiß ich jetzt nicht. Aber ich ich lade euch ein, nach Griechenland zu kommen. Ich lebe gern hier! Und irgendwann komme ich dann wieder mal nach Deutschland und will hören und sehen, was sich da bewegt!
Eure Dorothee aus Griechenland