Harald Weinberg in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Seit 2012 ist das deutsche Gesundheitsministerium (BMG) – von vielen unbemerkt – offizieller „Domain Leader“ für Strukturreformen im griechischen Gesundheitssystem. Das gesundheitspolitische Memorandum of Understanding (MoU) wurde im April 2012 zwischen dem griechischen Gesundheitsministerium, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der von der Europäischen Kommission eingesetzten Task-Force Griechenland unterzeichnet. Hierin wurden drei zentrale Bereiche benannt, in denen grundlegende Veränderungen erreicht werden sollen: Arzneimittelpolitik, die Einführung von Fallpauschalen in der stationären Versorgung und die Organisation des neu geschaffenen Krankenversicherungsträgers EOPYY.

Es gehe jetzt darum, die „Chancen im Interesse der Patienten zu nutzen“, erklärte der damalige Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) anlässlich der Unterzeichnung des „Memorandum of Understanding (MoU) im April 2012.(1) Wie ernst es dem BMG mit den „Interessen der Patienten“ ist, lässt sich leicht an seinen Aktivitäten nachvollziehen: Obwohl im MoU die „Verwaltung, Organisation, Pflichten und Zuständigkeiten der Staatlichen Organisation für Gesundheitsdienstleistungen (EOPYY)“ als einer von drei Schwerpunktbereichen festgelegt wurde, waren die gut 30 Prozent Nicht-Krankenversicherten für das BMG kein Thema. Auf die Frage, welche Maßnahmen die Bundesregierung Griechenland vorschlägt, um den über drei Millionen GriechInnen, die nicht mehr krankenversichert sind, schnellstmöglich wieder einen Zugang zum Gesundheitssystem zur Verfügung zu stellen, antwortete die Bundesregierung im Oktober 2012, dass man sich bei der „Unterstützung auf die im MoU … vereinbarten Schwerpunktthemen“ konzentriere.(2)

In diesem Sinne erfolgte in Griechenland der im Artikel von Katarina Notopoulou beschriebene systematische Rückzug des Staates aus der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen und die Übergabe an Großunternehmen – ganz im Sinne des BMG, in einigen Grundzügen auch der Entwicklung in Deutschland folgend bzw. diese radikalisierend. Selbst der auf Anweisung der Troika 2011 geschaffene einheitliche öffentliche Versicherungsträger EOPYY hat unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung seine Aufgabe erfüllt: Die öffentliche Finanzierung des Gesundheitssystems ist nachhaltig demontiert und delegitimiert. Wer braucht eine öffentliche Krankenversicherung, die bei Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken als weitgehend zahlungsunfähig gilt? Es liegt nahe, mindestens eine private Zusatzversicherung abzuschließen, wenn permanent Leistungen eingeschränkt werden und die Selbstbeteiligung immer weiter steigt. Im Ergebnis rollen private Versicherungsunternehmen derzeit den griechischen Gesundheitssektor auf.

Diese Entwicklung ist im Sinne des BMG. So machte das Berliner Ministerium in der erwähnten Antwort auf unsere Kleine Anfrage das Fehlen von „wettbewerblichen Elementen (keine freie Wahl der Krankenversicherungsträger möglich)“ als eines der „Hauptprobleme von EOPYY“ aus. Offensichtlich ging es bei den „Reformen“ im griechischen Gesundheitssystem, die das BMG anleitet bzw. anleitete, nicht um eine verbesserte Versorgung, sondern ausschließlich um unternehmerische Profite und die Schaffung von (Gesundheits-) Märkten.

Dieser Umbau des Gesundheitssystems verstößt dabei auch gegen die Grundrechtecharta der EU. Dort heißt es in Artikel 35: „Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ Die Troika, und in ihrem Schlepptau das BMG, beschränken jedoch mit ihrer Politik in Griechenland diesen „Zugang zur medizinischen Versorgung“. Eine prägnante Beschreibung dieser Politik lieferte 2011 der damalige griechische Gesundheitsminister Andreas Loverdos (PASOK) mit der Bemerkung, dass seine Kürzungen im Gesundheitssystem „nicht mit dem Skalpell, sondern mit dem Schlachtermesser vorgenommen“ würden. Insbesondere die gesellschaftlichen Gruppen, die ohnehin am stärksten von der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen und daher besonders schutzbedürftig sind, werden dadurch weiter an den Rand – und bis in den Abgrund – gedrängt.

Harald Weinberg ist Soziologe und gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.

Anmerkungen: