von Sahra Wagenknecht
Finanzminister Schäuble hat kürzlich versucht, die griechische Regierung mit der Bemerkung vorzuführen: Tja, Regieren sei halt immer ein Rendezvous mit der Realität. Da kann man nur sagen: Schön wär’s! Schön wäre es, wenn die deutsche Regierung ihr Rendezvous mit der Realität endlich auch einmal erleben würde.
Realität ist, dass es nicht die Syriza, sondern die griechischen Schwesterparteien von CDU/CSU und SPD waren, die über Jahrzehnte einen riesigen Schuldenberg aufgetürmt haben, um sich und der Oberschicht die Taschen vollzustopfen.
Realität ist auch, dass Griechenland bereits 2010 hoffnungslos überschuldet war und dass es eine verantwortungslose Veruntreuung von deutschem Steuergeld war, mit diesem Geld die Schulden der Griechen bei den Banken zu bezahlen. Wir haben deswegen damals nicht zugestimmt. Wir haben damals schon einen Schuldenschnitt gefordert.
Wer einem Überschuldeten Kredit gibt, der wird sein Geld mutmaßlich nie wiedersehen. Aber die Verantwortung dafür liegt bei Ihnen, Frau Merkel und Herr Schäuble, und nicht bei der neuen griechischen Regierung, die noch nicht einmal zwei Monate im Amt ist.
Realität ist auch, dass unter dem Protektorat der von Ihnen immer noch hochgeschätzten Troika, über deren kriminelle Machenschaften man sich in dem hervorragenden Dokumentarfilm von Harald Schumann informieren kann, die griechischen Schulden noch weiter gewachsen und die griechischen Milliardäre noch reicher geworden sind. Und das wollen Sie fortsetzen? Da kann ich nur sagen: Gute Nacht!
Wenn Sie unser Geld zurückholen wollen, dann holen Sie es bei denen, die es bekommen haben, und das waren nicht griechische Rentner und griechische Krankenschwestern, sondern die internationalen Banken und die griechische Oberschicht. An dieser Stelle können Sie der griechischen Regierung helfen, das Geld wieder einzutreiben.
Realität ist schließlich, dass die Demokratie in Europa durch die Erpressungspolitik gegenüber Griechenland schweren Schaden nimmt. Wer die Demokratie verteidigen will, der muss sich dafür einsetzen, dass die europäischen Länder endlich wieder von ihren gewählten Regierungen und nicht von Finanzmärkten, nicht von dem ehemaligen Investmentbanker Mario Draghi und, bitte schön, auch nicht von Ihnen, Frau Merkel, regiert werden.
Wenn Sie die Demokratie und unsere europäischen Werte verteidigen wollen, dann stoppen Sie die sogenannten Freihandelsabkommen, dann stoppen Sie TTIP, in dessen Folge demokratische Wahlen endgültig zur bloßen Farce verkommen.
Wenn Sie ein einiges Europa wollen, dann hören Sie auf, andere Länder zu demütigen und ihnen Programme zu diktieren, die ihrer jungen Generation jede Perspektive nehmen.
Hören Sie auf, Europa sogenannte Strukturreformen vorzuschreiben, die nur auf wachsende Ungleichheit und einen immer größeren Niedriglohnsektor hinauslaufen! In Deutschland sind infolge dieser Politik mittlerweile 3 Millionen Menschen trotz Arbeit so arm, dass sie nicht ordentlich heizen, sich nicht anständig ernähren und schon gar nicht in den Urlaub fahren können. Statt diese Politik zum Exportschlager zu erklären, wäre es an der Zeit ‑ und übrigens sehr im europäischen Interesse ‑, sie endlich hier in Deutschland zu korrigieren; denn es ist nicht zuletzt das deutsche Lohndumping, das anderen Ländern der Währungsunion die Luft zum Atmen nimmt.
Auszüge aus einer Bundestagsrede am 19. März 2015. Sahra Wagenknecht, MdB DIE LINKE, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion.